Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
unten.
Tori stößt ihn mit dem Fuß herum, aber er bleibt reglos liegen. »Wer ist das denn?« Endlich bemerkt sie, dass ich blutend am Boden liege. Sie eilt zu mir.
Also Nico könnte sie mit der Aktion nicht beeindrucken, denke ich insgeheim. Weder kontrolliert sie, ob noch weitere Angreifer in der Nähe sind, noch vergewissert sie sich, dass Cam nicht wieder aufstehen kann.
Ich stöhne, mir kommt eine Idee. »Ich sterbe«, flüstere ich, obwohl ich das eigentlich nicht glaube. Die Schnitte sind nur oberflächlich, bluten stark, und ich bin mal wieder kurz davor, in Ohnmacht zu fallen, aber nicht wegen der Verletzungen. Doch das kann Tori ja nicht wissen.
Erschrocken sieht sie mich an. Klar bin ich bei ihr nicht gerade die Nummer eins auf der Beliebtheitsskala, aber sie weiß, dass Nico mich für irgendetwas braucht.
»Tori«, hauche ich. »Hol einen Arzt, ich brauche sofort einen Arzt, sonst …« Meine Stimme versagt und ich schließe die Augen. Dann sacke ich in mich zusammen und mime die Bewusstlose, heimlich blinzle ich, um zu sehen, wie Tori reagiert. Zu ihren Gunsten muss ich sagen, dass sie Cam mit einem Tritt kaltstellt, bevor sie zurück ins Haus stürmt.
Ich atme tief ein und aus und versuche, nicht an all das rote Blut zu denken, das aus meinen Wunden sickert. Vorsichtig bewege ich Arme und Beine, aber selbst die kleinste Bewegung löst Schwindel aus. Das kann ich vergessen. Mist.
Kurz darauf taucht Dr. Lysander auf. Sie kommt sofort herbeigeeilt, gefolgt von Tori, die ihr die Pistole in den Rücken drückt.
Dr. Lysander kniet sich neben mich und untersucht mich. Natürlich muss ihr gleich klar sein, dass ich von den Stichwunden nicht das Bewusstsein verloren haben kann. Tori ist der Blick auf mich durch Dr. Lysander verstellt. Ich schlage die Augen auf und zwinkere ihr zu. Dr. Lysander sieht mich groß an.
»Ich brauche einen Druckverband, und zwar sofort«, sagt sie. »Hol mir den Erste-Hilfe-Kasten!«
Tori schwankt.
»Los! Sofort, sonst stirbt sie.«
Daraufhin flitzt Tori ins Haus. Ich setze mich auf. »Hauen Sie ab«, sage ich und zeige in den Wald. »Durch den Wald führt ein Weg, an der Gabelung halten Sie sich links.«
»Nicht ohne dich.«
»Los! Gehen Sie. Ich kann nicht. Mir ist schwindelig vom Blut.«
»Nein.« Sie zieht mich hoch. Etwas wacklig bin ich schon auf den Beinen, aber Dr. Lysander legt mir entschlossen den Arm um die Hüfte und humpelnd machen wir uns auf in den Wald.
Da kommt Tori aus dem Haus gestürmt. Lässt den Verbandskasten fallen und will sich auf ihre Pistole stürzen.
Doch bevor sie sie erreicht, knallt es einmal laut, und die Äste über uns bersten. »Der nächste Schuss landet nicht im Baum«, sagt eine Stimme. Eine Stimme, die mich erzittern lässt.
Wir bleiben stehen. Drehen uns um.
Und da ist Nico, die Waffe auf meinen Kopf gerichtet. »So, will mir mal jemand sagen, was hier eigentlich vor sich geht?«
»Ich bin ziemlich sauer«, sagt Nico. Blick und Stimme sind eisig, kalt wie ein Gletscher. »Das büßt mir jemand.«
»Du.« Dabei blickt er zu Tori, die Waffe weiterhin auf mich gerichtet. »Wenigstens hast du eine Sache richtig gemacht und mich alarmiert. Ich war ohnehin schon fast hier, da habe ich mich leise angeschlichen, um herauszufinden, was denn so dringend ist. Und was muss ich da sehen? Du hast die Gefangene freigelassen«, sagt er zu Tori.
Nico dreht sich um und zielt auf Tori.
Alle Farbe weicht aus ihrem Gesicht. »Nein, Nico, nicht, ich …«
»Willst du etwa abstreiten, dass du die Tür aufgeschlossen hast?«
»Nein, aber …«
»Es war meine Schuld«, sage ich.
Nun schwenkt er wieder zu mir herum. »Und wer ist das?« Er deutet auf Cam, der noch immer blutend am Boden liegt.
»Jemand aus der Schule, aber genau weiß ich es nicht. Da steckt noch mehr dahinter. Er ist mir gefolgt. Eigentlich ist das unmöglich.«
»Dir ist jemand bis hierher gefolgt?« Angewidert schüttelt er den Kopf. »Wie könnt ihr alle nur so dumm sein! Wer bezahlt dafür?« Er seufzt, richtet die Pistole auf mich. Als Dr. Lysander vortritt und die Hand hebt, um etwas zu sagen, halte ich sie zurück.
Nico drückt ab, laut hallt der Schuss durch den Wald. Über unsere Köpfe hinweg.
Wie erstarrt stehe ich da. Bloß nicht zu Cam sehen und dem ganzen Blut an seinem Hinterkopf oder meinem eigenen Blut, denn ich darf auf keinen Fall in Ohnmacht fallen. Ich atme tief durch, versuche, nicht daran zu denken. Schiebe die blutigen Bilder beiseite, damit ich
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