Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
Bücherregal gefunden. Es ist nicht so schön wie das von Penny und die Spielfiguren sind aus Plastik, nicht aus Holz. Aber ich habe einen der Türme herausgenommen und ihn in der Hand gehalten. Irgendwie hat mich der Turm beruhigt und ich habe ihn in meine Hosentasche gesteckt. Während des Abendessens habe ich immer wieder danach getastet, um sicher zu sein, dass er noch da ist. Jetzt nehme ich ihn vom Nachttisch und halte ihn in meiner Hand.
Ich laufe. Im Sand rutsche ich immer wieder weg, dennoch renne ich, so schnell ich kann. Die Angst verleiht mir Energie, die ich normalerweise nicht habe. Ich renne, aber alles hat seine Grenzen. Meine Kräfte schwinden.
»Schneller!«
Ich stolpere, falle keuchend hin und breche zusammen.
Er versucht, mich auf die Beine zu ziehen.
Ich schüttle den Kopf. »Ich kann nicht. Geh. Rette dich selbst«, keuche ich.
»Nein, ich werde dich nie verlassen.« Er schlingt die Arme um mich. Arme, in denen ich mich seit Langem zum ersten Mal geborgen fühle. Aber nur für Sekunden.
Das Grauen kommt näher.
Er wird weggerissen. Wo Wärme war, ist jetzt nur noch Kälte.
Ich schreie.
Als ich die Augen aufreiße, ist es still und dunkel. Außer dem panischen Schlagen meines Herzens ist kein Geräusch zu hören. Keine Schritte oder Bewegungen deuten darauf hin, dass ich im Traum laut aufgeschrien habe, wie mir das manchmal passiert. Niemand kommt, um mich zu trösten.
Meine linke Hand schmerzt. Die Finger habe ich zu einer Faust verkrallt und kann sie kaum öffnen. Nachdem sich mein Herzschlag beruhigt hat, löse ich langsam Finger für Finger.
In meiner Hand ist noch immer der Turm. Ich habe ihn so fest umklammert, dass sich die Mauerzinnen in die Haut gebohrt haben. In der Handinnenfläche ist ein perfekter Kreis von sechs Einkerbungen zu sehen.
Diesen Traum hatte ich schon viele Male. Aber diesmal war er anders. Zu Beginn sind die Einzelheiten glasklar. Ich fühle den Sand unter den Füßen. Spüre beim Laufen jeden quälenden Atemzug. Ebenso die Panik, die mich über meine Kraftreserven hinaus vorwärtstreibt. Doch mit dem Sturz verändert sich alles.
Alles, was darauf folgte, war früher immer verschwommen und vage. Ich habe nach wie vor schreckliche Angst, aber die Einzelheiten sind nicht mehr greif bar. Jemand ruft, dass ich niemals vergessen und die Mauer auf bauen soll – die Mauer aus Ziegeln. Ein direktes Bild für Rains Versteck. War das der Augenblick, als mich die Lorder geholt und geslated haben? Wovor hätte ich mich sonst so fürchten sollen?
Aber heute Nacht ist der Traum bis zum Schluss klar. Der Mann bei mir war ein anderer. Er hat nicht geschrien, sondern mich gehalten, und ich habe mich an ihn geklammert, bis er weggerissen wurde. Meine Augen waren geschlossen, aber ich konnte den Sand und den kalten salzigen Wind vom Meer spüren, mein Herz schlagen und die Wellen brechen hören. Es fühlte sich real an.
Wer war dieser Mann, der versprochen hat, mich niemals zu verlassen? Aus niemals wurden Sekunden – er wurde fast im selben Augenblick weggerissen, als er diese Worte aussprach. Was ist mit ihm geschehen? Mit mir? Was ist als Nächstes passiert?
Die Angst aus diesem Traum wird zu Frust und dann zu Wut. Ich schlage mit der Faust in die Matratze. Warum kann ich mich nicht daran erinnern, was wirklich geschehen ist, jetzt wo ich diese anderen Erinnerungen wiederhabe? Warum?
Es fehlt immer noch so viel. Ich fühle mich leer und hohl. Völlig erschöpft sinke ich ins Bett zurück und Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich kann mich nicht einmal dazu aufraffen, sie wegzuwischen.
Bzzzzz!
Eine Vibration an meinem Handgelenk reißt mich aus dem Schlaf. Das Levo …? Aber es funktioniert doch nicht mehr? In der Dunkelheit schaue ich auf den Wert: 5,6. Selbst wenn das Gerät funktionieren würde, ist mein Level lange noch nicht niedrig genug, dass es vibrieren würde.
Bzzzz!
Das Kom darunter – das muss es sein. Ruft mich Nico? Auf einmal habe ich lauter Schmetterlinge im Bauch.
Ich drücke auf den versteckten Knopf unter dem Levo. »Hallo?«, flüstere ich.
»Das hat ja gedauert.« Nicos Stimme klingt angespannt.
»Tut mir leid. Ich hab nicht gleich kapiert, dass es das Kom war.« Äußerst schlau, es genauso vibrieren zu lassen wie ein Levo. Niemand würde stutzen, es sei denn, sie würden die viel zu hohen Werte sehen.
»Kannst du sprechen?«
»Ja.« Alle schlafen, außer Sebastian und mir. Er starrt aus sicherer Distanz auf meine Hand, als würde von
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