Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
Beide haben langes dunkles Haar. Wollte sie absichtlich ein geslatetes Mädchen haben, das ihr ähnlich sieht? Ich habe Gerüchte gehört, dass sich manche einen maßgeschneiderten Sohn oder eine solche Tochter wünschen. Vielleicht wurde Tori mit der Zeit eine jüngere und schönere Version ihrer Mutter – und eine zu große Konkurrentin.
»Warum bist du hier, Tori?«
Sie antwortet nicht. Ich nehme ihre eiskalte Hand in meine.
»Komm mit. Wir gehen wieder zurück. Hier gibt es nichts für dich zu tun.«
Keine Reaktion. Sie starrt immer noch geradeaus. Dann glitzert eine Träne in ihrem Auge und läuft über ihre Wange.
»Tori?«
»Ich musste sie einfach sehen. Ich wollte von ihr hören, warum ich zurückgegeben worden bin, ich wollte es von ihr selbst hören. Sehen, wie sie sich rechtfertigt.«
»Ziemlich viel los heute Nacht.«
»Ja. Vielleicht ist das sogar noch besser. Vor all ihren Freunden. Stell dir vor, wie peinlich ihr das sein muss!«
»Die Lorder würden dich wieder mitnehmen.«
Sie zuckt zusammen. »Vielleicht wäre es das wert.«
Ich ziehe an ihrer Hand. »Los, komm, bevor uns noch jemand entdeckt.«
Sie reißt ihren Blick von der Frau los, die ihre Mutter gewesen ist.
»Was habe ich falsch gemacht?«, fragt sie und noch eine Träne rollt ihr die Wange hinab.
Ich schüttle den Kopf. »Nichts. Gar nichts.«
Widerstandslos lässt sie sich von mir wegführen und folgt meinen Anweisungen, als wir geduckt hinter den Hecken verschwinden.
Wir kommen zu der Stelle, wo ich das Rad versteckt habe. »Ich nehm dich hinten drauf«, sage ich, und sie steigt hinter mir auf den Sitz, während ich stehend die Straße runterradle, auch wenn mir nach der vorherigen Anstrengung jeder Muskel schmerzt.
»Wo können wir denn hin?«, flüstert sie mir ins Ohr.
»Zu Nico. Wohin sonst?«
»Er wird richtig sauer sein.«
»Ja, das wird er.«
Nico ist nicht da, als wir ankommen. Das Haus ist abgesperrt, aber Tori kennt den Sicherheitscode für die Tür und wir sind schnell drin.
Sie zittert. Ich finde eine Whiskeyflasche und schenke ihr ein Glas ein, dann nehme ich selbst einen Schluck.
Als Nächstes rufe ich Nico an, um ihm Bescheid zu geben, wo wir sind.
Tori schläft tief und fest auf dem Sofa.
»Was hast du ihr gegeben?«
»Beruhigungsmittel. Das stellt sie einen Tag ruhig, während ich mich um die nächsten Schritte kümmere«, lässt er mich mit kalter Stimme wissen. »Das war ganz schön nah an der Katastrophe. Du hättest mir sagen sollen, wo sie steckt.«
»Ich wusste es nicht, ich habe selbst nur geraten.«
»Dann rätst du ziemlich gut, Rain.« Nico kommt näher. Er ist viel größer, sieht auf mich herab und ich widerstehe dem Drang zurückzuweichen.
Ich bewege mich nicht von der Stelle. »Ich bin für sie verantwortlich. Es war meine Aufgabe, mich um sie zu kümmern. Was hast du mit ihr vor?«
Er schaut mich kurz an, dann nickt er. »Ich denke immer noch, dass sie uns nützlich sein könnte. In der Zwischenzeit muss ich sie irgendwo unterbringen, wo es sicherer ist.« Er seufzt. »Was soll ich nur mit dir anstellen?« Seine Mundwinkel umspielt fast ein Lächeln, doch die Kälte dahinter ist noch deutlich spürbar.
»Es tut mir leid, Nico. Ich wollte es nur in Ordnung bringen.«
Allmählich wird sein Blick sanfter. Er legt mir eine Hand auf jede Schulter, zieht mich näher und ich schmiege mich an ihn. Am liebsten würde ich nicht einmal mehr atmen, um den Moment nicht zu zerstören.
»Dein Herz klopft wie wild«, sagt er schließlich, schiebt mich weg und sieht mir in die Augen. »Ich bin nicht böse auf dich, Rain. Zumindest nicht so, wie du denkst.«
Erleichtert frage ich: »Bist du nicht?«
»Nein. Ich hatte Angst.«
»Du, Angst ?« Es nur auszusprechen, klingt seltsam, denn Nico hat vor gar nichts Angst.
Er lächelt leicht. »Doch. Selbst ich habe Ängste. Ich war besorgt, dass dir etwas passieren könnte. Wenn die Lorder dich nun geschnappt hätten? Du hättest mir sagen sollen, wo sie ist, damit ich mich darum kümmern kann. Du musst in Sicherheit bleiben, Rain. Ich muss dich in Sicherheit wissen.«
Ich schaue ihn erstaunt an. »Tut mir leid.«
»Es muss dir nicht leidtun. Es war mutig von dir. Aber versprich mir eins: keine voreiligen Rettungsaktionen mehr, ohne mir vorher Bescheid zu geben. Abgemacht?«
»Abgemacht.«
»Eine Sache noch, bevor du gehst. Deine Pläne vom Krankenhaus sind großartig, aber ich brauche auch Bilder vom Personal. Alle Gesichter aus dem
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