Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
und Schwächen, ihre Motive kennst. Damit ihr zusammenarbeiten könnt.«
Er wirft mich mit Tori in einen Topf, stellt mich auf eine Stufe mit ihr. Als würden wir zum gleichen Team gehören. Dabei kennt er sie doch kaum! Das kränkt mich, aber vielleicht steckt auch noch etwas anderes dahinter. Von wegen keine Geheimnisse! Wenn Tori wüsste, was zwischen mir und Ben war, würde sie mich nie im Leben akzeptieren. Ich seufze.
»Mensch, Rain. Du weißt doch, dass ich auf deiner Seite bin.«
Als er meine Hand nimmt, packe ich fest zu, ich fühle mich so einsam und allein. Mum und Amy kann ich nicht trauen; Cam redet nicht mehr mit mir, und falls doch, wäre es zu seinem Besten, wenn ich ihn in Ruhe ließe. Vorhin hatte ich den Eindruck, zwischen Tori und mir bahnt sich eine Freundschaft an, aber sobald sie die Wahrheit erfährt, ist auch das futsch.
Bleibt nur noch Nico. Ich schaue ihm in die Augen. Ruhig hält er meinem Blick stand. Immer der gleiche Ausdruck. Keine Geheimnisse : Ich muss ihm alles sagen.
»Und wie kommst du mit den Zeichnungen voran?«
»Ein paar sind schon fertig. Hätte ich gewusst, dass ich heute herkomme, hätte ich sie mitgebracht. Am Samstag bin ich wieder im Krankenhaus. Bei einigen Details muss ich mich noch mal vergewissern. Damit auch alles genau stimmt.«
»Allerdings. Aber das hat noch etwas Zeit, Rain.«
Ich hole tief Luft. »Ich muss dir noch was sagen. Ich …«
»Warte kurz.« Vor dem Haus sind Schritte und Stimmen zu hören. »Geh raus und lerne zuerst deine neuen Freunde kennen.«
Als ich vor die Tür trete, ist Katran zurück und hat eine Meute von neun erschöpften Teenagern dabei. Dem Aussehen nach zu urteilen, alles Neuzugänge im Alter zwischen vierzehn und fünfzehn. Manche kommen mir aus der Schule halbwegs bekannt vor, und ein wenig überrascht bin ich schon, sie hier zu sehen, aber das ist noch gar nichts gegen ihre Überraschung, als sie mich erkennen. Alle Augen sind auf mein Handgelenk gerichtet, mein Levo.
Bei Nicos Anblick verstummt das Geflüster sofort. Sie stehen stramm.
Nico sucht Katrans Blick. »Berichte.«
Der schüttelt den Kopf. »Nutzloser Haufen, diese neuen Rekruten. Waren nur mit Blödsinn beschäftigt, als ich von meinem Ausflug zurückkam.« Er funkelt mich an.
Die Angst ist förmlich greifbar. So haben wir alle einmal angefangen, in panischer Angst vor Nico. Im Lauf der Zeit änderte sich das Verhältnis, wir lernten dazu und Nico wusste das zu schätzen. Die Angst blieb zwar, doch allmählich begriffen wir, dass alles, was Nico tat, nur zu unserem Besten war. Um uns abzuhärten, unsere Überlebenschancen zu erhöhen.
Doch Nico hebt nur eine Braue. »Das ist deine Gruppe, Katran. Was willst du dagegen tun?«
Katran grinst. »Heute Nacht wird wieder trainiert.« Er hebt die Hand, um ihnen zu bedeuten, wegzutreten, und einige entfernen sich zögerlich.
»Wartet«, sagt Nico. »Es gibt ein weiteres Problem.«
Alle bleiben stehen und richten den Blick abermals auf Nico.
»Die Sicherheitsbestimmungen sind unterlaufen worden. Jemand hat sich heimlich rausgeschlichen und Geschichten über uns verbreitet. Wer war das?« Seine Stimme ist eiskalt, und obwohl ich weiß, dass ich es nicht gewesen bin, sondern einer aus der Gruppe, ist ihre Furcht ansteckend. Angsterfüllt frage ich mich, was als Nächstes geschehen wird.
Der Reihe nach schaut er in die bleichen Gesichter und sieht ihnen in die Augen. Ich erkenne die Schuldige, lange bevor sie an die Reihe kommt: ein dunkelhaariges Mädchen, in der Schule muss sie in der Zehnten sein. Sie zittert und kann Nico nicht anschauen.
Nico seufzt. Er gibt Katran ein Zeichen, der das Mädchen aus der Gruppe zerrt und vor Nico stellt.
»Holly, nicht wahr?« Nico streckt die Hand nach ihr aus, sie zuckt zurück, doch er streicht ihr nur leicht über die Wange. Er lächelt. »Erzähl uns, was du getan hast«, sagt er sanft.
In ihren verzweifelten Augen spiegelt sich Hoffnung. Sie kennt ihn nicht so gut wie ich. Es wäre besser für sie, wenn er wütend wäre. »Es tut mir leid, Nico. Ich musste mich einfach noch von ihm verabschieden.«
»Von wem? Deinem Freund?« Nico sieht zu Katran, der entnervt die Augen rollt.
»Nein, von meinem Bruder.«
»Holly, hast du nicht voller Inbrunst verkündet, wie sehr du die Lorder hasst und dass du alles tun würdest, um sie zu stürzen? Dass wir nun deine neue Familie sind?«
»Doch, das seid ihr ja auch! Ich will zu euch gehören. Glaub mir doch. Ich bin zu allem
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