Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
immer, dass bei dir mehr dahintersteckt, Kyla. Nur wer bist du überhaupt?«
»Das wüsste ich selbst gerne«, antworte ich lachend. »Aber hier draußen bin ich nicht Kyla. Hier bin ich Rain. Und wer bist du?«
Entnervt sieht sie mich an. »Ich sollte mir einen Namen aussuchen, irgendetwas aus der Umgebung, doch da hatte dieser Idiot schon angefangen, mich Prinzessin auf der Erbse zu nennen.« Tori macht ein finsteres Gesicht. »Nun werde ich den Namen nicht mehr los.«
Wir werfen die Messer auf die Zielscheibe.
»Wie geht es dir hier?«, frage ich. Aufmerksam beobachte ich sie aus den Augenwinkeln, während ich mich scheinbar auf die Markierungen am Baum konzentriere.
»Super!«, sagt sie. »Außer das mit dem Namen.«
»Prinzessin verstehe ich ja noch. Aber was hat es mit der Erbse auf sich?«
»Als ich vor ein paar Tagen hierherkam, habe ich etwas rumgenörgelt«, räumt sie verlegen ein. »Wie die Prinzessin, die sich über die Erbse unter der Matratze beschwert, meinte Katran daraufhin.«
»Und jetzt kommst du zurecht?«
Tori lächelt. »Hier draußen mitten in der Pampa kann man tun und lassen, was man will. Selbst herumschreien! Hier kümmert das niemanden, es gibt keine Lorder weit und breit.« Sie schnappt sich ein Messer. »Als Zielscheibe kann ich mir jeden X-Beliebigen vorstellen. Mum.« Sirrend fliegt das Messer durch die Luft und trifft genau ins Schwarze. »Oder einen Lorder.« Diesmal verfehlt sie die Mitte knapp. Verärgert schnalzt sie mit der Zunge.
Wir ziehen die Messer aus dem Baum und stellen uns erneut auf. »Geh noch einen Schritt zurück«, schlage ich vor. »Hast du einen bestimmten Lorder vor Augen? Sinnst du auf Rache?«
»Dafür ist es zu spät, der ist schon tot.« Abermals wirft sie, doch sie ist abgelenkt und das Messer fliegt unruhig durch die Luft und verfehlt das Ziel. Sie flucht. Beim nächsten Versuch trifft sie wieder ins Schwarze.
»Du hast mir noch nicht erzählt, was eigentlich passiert ist.«
Wir gehen zum Baum, um die Messer zu holen. Doch statt sich erneut aufzustellen, setzt sich Tori diesmal unter den Baum und schließt die Augen.
Ich tue es ihr gleich. Sie schweigt.
»Tori?«
»Du sollst mich hier doch nicht so nennen. Ich bin nicht mehr Tori. Die hat so viel Schlimmes erlebt, das lasse ich alles hinter mir.«
Sie beugt sich vor, rupft einen Grashalm ab und zerreißt ihn in winzige Stücke. »Den Anfang kennst du ja bereits. Man hat mich abgeholt. Mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Verschleppt von den Lordern. Niemand hat mir gesagt, warum.« Sie seufzt. »Da, wo ich hingebracht wurde, gab es noch mehr Slater. Wir waren zu sechst. Alle vollkommen verängstigt. Noch nie habe ich so viele Levos gleichzeitig summen gehört. Ein Lorder hat verlesen, dass wir unsere Verträge gebrochen hätten, aber wir durften uns dazu nicht äußern. Und dann …« Sie verstummt und verzieht schmerzlich das Gesicht.
»Du musst es mir nicht sagen.«
»Sie wurden umgebracht«, flüstert sie.
»Was?«
»Ausgelöscht. Mit einer Spritze. Und wie Müll in eine Grube geworfen. Als der Erste tot war, sind die anderen natürlich bewusstlos geworden und haben nichts mehr mitbekommen.«
Man ahnt ja, was mit Menschen geschieht, die verschwinden. Aber es von jemandem erzählt zu bekommen, der dabei war und es mit eigenen Augen gesehen hat … Mir wird schlecht.
»Was war mit dir?«
»Ich war die Letzte. Ich bin nicht in Ohnmacht gefallen, aber es wäre vielleicht besser gewesen.« Sie lächelt verbittert. »Auch mir haben sie eine Spritze verpasst, obwohl ich mich wie verrückt gewehrt habe. Aber ich habe eine andere bekommen. Mir haben sie Happy Juice gespritzt.«
»Was? Das kapier ich nicht.«
»Ich habe es erst auch nicht verstanden. Dann hat mich ein Lorder in seinem Wagen rausgeschmuggelt.«
Gerettet von einem Lorder? Nicht zu fassen. Aber beim Erzählen haben sich Toris Augen seltsam verengt.
»Warum?«
»Zuerst habe ich gedacht, er hätte ein Gewissen. Dass er mich retten wollte, wobei ich nicht verstanden habe, warum ausgerechnet mich und nicht die anderen. Er hat mich in seinem Haus versteckt und mir von einem Arzt das Levo entfernen lassen. Das war wirklich unglaublich! Und er hat mir Sachen geschenkt. Klamotten, schöne Dinge. Er war wie ein Vater zu mir.« Sie wendet das Gesicht ab. »Aber das war eine einzige Lüge. Dieser Mann war krank. Was er alles mit mir angestellt hat! Am Anfang war es noch harmlos, doch es wurde immer schlimmer. Aber ich will
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