Zerteufelter Vers (German Edition)
Glück. Man musste nur lernen, es zu ergreifen – das war der Sinn – ihr Sinn im Leben! Wie vehement Gloria diese Zauberformel in die Tat umsetzte, machte Kirt irgendwann fast schon Angst.
Er sah ihr beklemmend dabei zu. Kirt fürchtete sich, sie aus diesem Streben herauszureißen, indem er ihr von seinen eigenen Sorgen erzählte. Also tat er es nicht. Gloria selbst dachte, Kirt wollte nicht über seine Gefühle reden. Jedes Mal, wenn sie ihn danach fragte, was er anstellen würde – nach dem 14. Dezember – schaltete er auf Durchzug. Das machte Gloria traurig und allein deswegen umgingen beide irgendwann alle Themen, die damit zu tun hatten – was erst wäre, wenn…!
Gleichermaßen rückten sie enger zusammen: Sie bildeten ein Traumpaar, konnten – bis auf jene Kleinigkeit – über alles reden und vertrauten sich blind. Fast vier Wochen fuhren sie mit dem Motorrad quer durch alle Länder. Mehr und mehr war Gloria für Kirt da. Wollte er sich hingegen um sie kümmern, zeigte sie sich von ihrer starken Seite. Vielleicht schien aber genau diese Zauberformel dafür verantwortlich zu sein, dass Kirt selbst keinen Raum mehr fand… keine Aufgabe mehr besaß – außer zu ihr zu stehen. Je stärker Gloria also wurde, desto enger liefen Kirts Bande um sie herum, desto misstrauischer wurde er gegenüber anderen Leuten, desto verzweifelter schien er über ihren Tod zu sein.
»Herzlichen Glückwunsch zu deinem 18. Geburtstag!« Kirt hielt ein kleines Päckchen in der Hand. Sie saßen an einem einsamen Strand irgendwo in Spanien. Gloria nahm das kleine Päckchen in ihre Hände und freute sich. Vorsichtig öffnete sie es und fand den kleinen Anhänger, den Kirt selbst stets getragen hatte: Das silberbläuliche Symbol, das aussah wie ein winziger Flügel. – Zeugnis einer anderen Welt, wo auch immer es herkam. Sie freute sich unendlich. »Dankeschön!«
Gloria gab ihm einen zärtlichen Kuss. »Was bedeutet dieses Symbol?« Kirt schaute sie grinsend an. »Du hast mich doch mal gefragt, welches Sternzeichen ich bin.« Sein Grinsen wurde noch breiter, als er weitersprach: »Das ist meins….« Gloria betrachtete den kleinen Anhänger, den Kirt bislang mit einem Lederband um den Hals getragen hatte. »Und was ist dein Sternzeichen?« Sie schaute ihn gespannt an. Gloria wirkte immer neugierig, wenn sie ein Zeugnis einer anderen Existenz von ihm aufschnappte. Es gab ihr ein Stück seiner Vergangenheit, von der sie sonst kaum etwas wusste. »Pegasus.« »Pegasus? Ist das nicht dieses Pferd mit Flügeln?« »Genau.« Kirt lachte.
Es gehörte allerdings schon viel Fantasie dazu, diesen silberbläulichen Anhänger als Symbol dieses sonderbaren Sternzeichens zu deuten. »Was zeichnet denn dein Sternzeichen aus?« Glorias Augen leuchteten regelrecht und sie wartete gespannt auf eine Antwort. Aber Kirt lachte nur. »Pegasus-Männer sind die besten, charmantesten, stärksten, liebevollsten…« »Ja, ja – schon klar!« Gloria lachte. »Nicht?« »Doch, natürlich…« Sie schmunzelte. Es war einer der schönsten Momente…
Gloria freute sich riesig und bat Kirt, ihr das Lederband umzubinden. Er knotete die Enden in ihrem Nacken zusammen und betrachtete sie. »Steht dir.« Kirt nahm Gloria in den Arm. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.« Er drückte sie fest an sich. Gloria genoss diesen Augenblick. Sie schauten gemeinsam auf die Weite des Meeres, die sich vor ihnen erstreckte. Das Wasser war heute so ruhig, dass man meinen konnte, es wäre ein See. Ihre Blicke verharrten am Horizont und Gloria fühlte sich auf eine seltene Weise frei. Heute war der 22. Oktober – vor 18 Jahren kam sie auf die Welt. Dass sie die 19 nie erreichen würde, stand unausgesprochen zwischen ihnen. Stille…
Es wirkte wie einer der unsagbar vielen Abschiede und einer der Momente, die nie zurückkehren würden. Das Meer schwappte sachte gegen den Strand. Langsam wurde es kühl – selbst hier in Spanien. Der Sommer dieses Jahres gehörte bereits der Vergangenheit an. Zog Gloria ein Resümee, bildete dieser Sommer den wohl außergewöhnlichsten ihres Lebens. Der Tod ihrer Mutter und die Trauer waren nicht vergessen. Jeden Tag dachte Gloria an sie – ihre Moni. Aber trotzdem ging es weiter. Nichts und niemand hatte die Traurigkeit von ihr abwenden können; auch nicht Kirt! Aber das Buch lehrte ihr, einen Weg zu finden, um mit ihren Zweifeln, ihren Ängsten und Sorgen umzugehen. Auf eine subtile Art und Weise hatte sie sich selbst besser kennen
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