Zerteufelter Vers (German Edition)
Gloria weiter darüber nachdenken konnte, irritierte sie Kirts stummes Nicken. Er deutete ihr mit vehementen Blicken die Richtung zu einem Mann… Das musste er sein: Magnus!
Er war das, was man als ‹charmant jung geblieben› bezeichnete. Gloria betrachtete ihn, während sie das monotone Reden des Richters vernahm. Sie schätzte Magnus auf Mitte 40. Er besaß sehr kurze, dunkle Haare und eine extreme Ausstrahlung. An so jemanden konnte man gar nicht vorbeisehen! – Hätte sie diesen Kerl damals an der Autobahnbrücke zu Gesicht bekommen, wäre er ihr garantiert aufgefallen. Sein Charisma erinnerte Gloria an jenen Moment, als sie Kirt das erste Mal gesehen hatte. Denn an Kirt konnte man auch nicht einfach so vorbeisehen; nur dachte Gloria damals, dass dies an ihrer heimlichen Zuneigung lag. Bei Magnus war das anders: Sie hasste ihn bereits, als sie noch gar nicht sicher wusste, dass er es war! – Der Mann, der kurz vor Kirts Erscheinen diesen Saal betrat!
Trotzdem strahlte Magnus eine Aura aus, die einen sicherlich in seinen Bann ziehen konnte, wenn er das wollte. Als Magnus plötzlich seinen Kopf drehte und Glorias Blick bemerkte, sah sie schnell zu Boden. Er hatte wahrscheinlich geahnt, dass sie ihn beobachtete und amüsierte sich nun. Gloria konzentrierte sich verschämt auf das Reden des Richters. Der Staatsanwalt ergriff das Wort und verkündete die Anklage. Gloria konnte nicht fassen, was man Kirt vorwarf. Außerdem war sie nahezu ahnungslos. Denn sie wusste nach wie vor nicht, was man gegen Kirt in der Hand hielt und hoffte, dass sie die Gelegenheit erhalten würde, kurz mit ihm reden zu können. Sie hatten sich unendlich lange nicht mehr gesehen und Glorias Blick schweifte wieder zu ihm. Doch Kirt hatte sich seinem Verteidiger gewidmet, der ihm etwas ins Ohr flüsterte. Er kannte diesen Mann erst seit kurzem. Das Gespräch mit ihm hatte nicht einmal halb so lang gedauert wie jeglicher Disput mit der Polizei. Denn auch dem Verteidiger ließ Kirt nicht mehr Informationen zuteil werden, als den Polizisten in den Verhören. Ob das nun clever erschien oder nicht…
»Ich bitte den Zeugen nach vorn zu treten.« Die Stimme des Richters riss Gloria aus ihren Gedanken. All die letzten Wochen steuerten auf diese Verhandlung hin und jetzt besaß Gloria das Gefühl, als würde alles an ihr vorbeiziehen wie in einem Film, ohne dass sie etwas richtig mitbekam; es war so irreal. Magnus trat nach vorn und nahm an einem freien Tisch in der Mitte des Raumes Platz, als der Richter von neuem das Wort ergriff: »Bitte schildern Sie dem Gericht, weshalb Sie am 28. Mai an der besagten Autobahnbrücke der A46 anwesend waren und was Sie dort gesehen haben.«
Magnus wirkte ruhig und strahlte Seriosität aus. Er schilderte in kurzen, klar verständlichen Sätzen, dass er als Ornithologe seit langem ein Vogelpaar beobachtete und sich dieses zum Brüten an den Waldrand bei der Autobahn niederließ. Aus diesem Grund hatte er auch seine Kamera dabei, als er durch laute Stimmen und Autotürenschlagen auf die Brücke aufmerksam geworden war. Das klang äußerst merkwürdig, aber in der Tat schien Magnus alles perfekt eingefädelt zu haben. All seine Arbeiten, Fotos und Aufzeichnungen protokollierten seine unfassbar blöde Geschichte. Nichts, aber auch gar nichts hatte er außer Acht gelassen!
»Seit wann beobachten Sie dieses Vogelpaar?« »Seit dem 18. April, also rund fünf Wochen vor dem Unglück.« Der Staatsanwalt fiel ein: »Sämtliche Fotoserien beweisen dies. Herr Staan arbeitet seit drei Jahren als Ornithologe in Nordrhein-Westfalen.« Gloria schaute verdattert in Kirts Richtung. Kirt jedoch schien Magnus´ Aussage nicht zu überraschen, doch Gloria wunderte sich, wie genau seine Hintergründe erschienen. Was sie nicht wissen konnte: Für Magnus war es ein Leichtes, Pässe und Urkunden zu fälschen, beziehungsweise lückenfreie Details zu schaffen – zumindest gehörte dies für ihn nur zum besonderen Ansporn. Natürlich arbeitete er nicht seit April an irgendwelchem biologischem Kram! Woher auch hätte er vorher von Glorias Plan wissen sollen? Doch Magnus – Herr Staan – hatte sich viel Mühe gegeben, im Nachhinein alles perfekt mit Beweisen zu untermauern. Wusste der Geier, wie er das überhaupt geschafft hatte! Für einen normalen Menschen wäre es sicher sehr schwierig gewesen, aber für ihn?
»Ich habe zwei Männer brüllen hören und nachgesehen, woher die Stimmen kommen. Als ich sah, wie ernst die Situation ist,
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