Zeugin am Abgrund
Deostift.
Lauren hoffte, dass Agent Rawlins eine der Sekretärinnen losgeschickt hatte, um diese Einkäufe zu erledigen. Der Gedanke, ein so schroffer Mann wie er könnte für sie Unterwäsche kaufen, ließ sie erröten, auch wenn es sich um einfache, rein zweckmäßige Wäsche handelte.
Sie hielt einen unförmigen grauen Wollpullover hoch und verzog das Gesicht. Reizend.
Auf einmal wurde ihr bewusst, wie albern sie sich benahm. Was war mit ihr los? Sie ließ sich von ihrer Abneigung gegen Agent Rawlins ihre Sinne verwirren. Da draußen liefen Männer umher, die sie ermorden wollten. Sie hatte solche Angst, dass ihr schlecht war. Wen interessierte es, wie die Kleidung aussah, die er für sie besorgt hatte? Der Trainingsanzug war sauber und warm.
Und sie lebte noch, um diese Kleidung zu tragen.
Sie zog sich entsprechend seinen Anweisungen an, beeilte sich jedoch nicht sonderlich. Das Polizeirevier war für sie gleichbedeutend mit Sicherheit, und sie wollte nicht schnellstmöglich hier herauskommen. Unter der Dusche hatte sie den letzten Rest des Make-ups abgewaschen, und sie machte sich nicht die Mühe, neues aufzulegen. Stattdessen verteilte sie die Feuchtigkeitscreme im Gesicht und rieb sich die Hände mit der Lotion ein.
Sie hatte gerade ihr feuchtes Haar nach hinten gekämmt, um es zu einem Knoten zusammenzubinden, als so laut gegen die Tür geschlagen wurde, dass sie zusammenfuhr und leise aufschrie.
“Beeilen Sie sich doch”, rief Agent Rawlins. “Sie haben noch eine Minute. Wenn Sie dann nicht hier draußen auftauchen, komme ich und hole Sie raus.”
“Ist ja gut, ich komme gleich!” Lauren sah zur Tür. Sie wusste, dass der Mann nur seine Arbeit machte, aber musste er so unwirsch sein? Sie nahm ihre Handtasche, den Parka und die Handschuhe und ging zur Tür.
Sam sah auf die Uhr. Mit einem leisen Fluch lehnte er sich vor und wollte den Türgriff umfassen, als Lauren Brownley die Tür öffnete. Ihr Anblick traf ihn wie ein Fausthieb in den Magen. Strahlend sauber stand sie vor ihm, das feuchte kastanienbraune Haar aus dem perfekt geschnittenen Gesicht gekämmt. Er atmete ein und spürte sofort, wie der süße erotische Duft, der von ihr ausging, seine Sinne benebelte.
Verlangen wurde in ihm wach, dicht gefolgt von Wut.
Verdammt, es stand ihm nicht an, sich nach dieser Frau zu sehnen. Sie war Zeugin in einem hochbrisanten Fall. Schlimmer noch, sie war Carlo Giovessis Gespielin.
“Wird auch Zeit.” Er sah sie an. “Sie haben geduscht und sich auch noch die Haare gewaschen? Ich dachte, Sie wollten sich nur ein wenig frisch machen. Verdammt, ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollten sich beeilen.”
“Eine Dusche war meiner Ansicht nach die schnellste Methode, um das zu erledigen”, erwiderte sie im unterkühlten Tonfall einer Prinzessin, was ihn nur noch mehr reizte. Warum war Carlo nicht bei seinem üblichen Frauentyp geblieben?
“Na gut”, gab er knapp zurück. “Wenn Sie dann fertig sind, meinen Sie, wir könnten endlich gehen?” Ohne auf ihre Antwort zu warten, nahm er die Einkaufstaschen in eine Hand, packte Lauren am Ellbogen und zog sie durch den Flur hinter sich her in Richtung der Hintertreppe.
Lauren musste sich beeilen, um mit seinen langen Schritten mithalten zu können. Sie sah sich um zu dem Büro, aus dem sie zuvor gekommen waren. “Wo bringen Sie mich hin? Wollen Sie Agent Dumphries nicht mitteilen, dass wir aufbrechen? Er hat doch gesagt, dass er für eine Polizeieskorte sorgen wollte.”
“Wir nehmen den Hinterausgang. Durch die Tiefgarage, in der alle Mitarbeiter ihre Wagen abstellen. Je weniger Leute uns sehen, umso besser.”
Aus dem Augenwinkel nahm Sam wahr, dass sie ihm einen beunruhigten Blick zuwarf. Gut, dachte er. Es machte ihm keinen Spaß, Frauen einzuschüchtern, aber wenn das nötig war, um diese unglaubliche Naivität zu durchdringen, dann musste es eben sein. Vielleicht verstand sie jetzt endlich, in welcher Gefahr sie schwebte.
“Was soll das heißen? Sie glauben doch nicht, dass die Polizei von Denver eine Gefahr für mich darstellt?”
Er machte die Tür auf und schob Lauren ins Treppenhaus, ohne ihr zu antworten. Durch den Pullover hindurch spürte er, wie angespannt die Muskeln in ihrem Arm waren.
“Glauben Sie das etwa?”
“Sagen wir mal so: Ich gehe nicht gern ein Risiko ein.”
Sie wimmerte, aber er ignorierte diesen Schreckenslaut und drängte sie weiter voran.
Er wollte ihr sagen, dass sie sich an ihre Lage gewöhnen müsse. In den
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