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Zeugin am Abgrund

Zeugin am Abgrund

Titel: Zeugin am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ginna Gray
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ärgerlich. Sie hatte das Gespräch eröffnet, also konnte er wenigstens etwas dazu beisteuern. Sam nahm aber den nächsten Bissen in den Mund und kaute schweigend weiter.
    Na gut, er hatte es nicht anders gewollt. “Erzählen Sie mir von Ihren Eltern.”
    Diesmal hob er ruckartig den Kopf. Mit seinen dunklen Augen betrachtete er sie misstrauisch. “Warum sollte ich?”
    Sein forscher Ton brachte Lauren zum Lachen. “Tun Sie doch nicht so, als wollte ich Ihnen irgendwelche Staatsgeheimnisse entlocken. Ich bin nur neugierig, weiter nichts. Und ich wollte die Zeit nutzen, damit wir uns etwas besser kennen lernen können. Das ist schließlich nur fair. Sie wissen alles über mich, also darf ich jetzt auch etwas von Ihnen erfahren.”
    “Da gibt es einen Unterschied. Ich bin beim FBI, Sie sind eine Zivilistin, die bei polizeilichen Ermittlungen eine Rolle spielt.”
    “Um Himmels willen, ich bin die Zeugin, nicht die Angeklagte. Sie scheinen das immer wieder zu vergessen. Jedenfalls bin ich dieses eisige Schweigen leid. Ich weiß, dass Sie keine besonders gute Meinung von mir haben, und wenn ich ehrlich sein soll, würde ich Sie auch nicht in den höchsten Tönen loben. Aber wir sind nun mal zusammen, können wir da nicht einen Waffenstillstand schließen und uns wie normale Menschen unterhalten? Ist das wirklich zu viel verlangt?”
    Wieder erntete sie einen dieser durchdringenden Blicke von ihm. Er sah nach unten und nahm einen weiteren Bissen. Als sie schon sicher war, dass er nicht antworten würde, überraschte er sie mit einer Frage: “Was wollen Sie wissen?”
    “Erzählen Sie mir doch erst einmal von Ihrer Mutter. Wie heißt sie? Was für ein Mensch ist sie?”
    “Ihr Name war Mary Morning Star Zah. Sie war klein und zierlich.” Er sah sie wieder an, ein schwacher Ausdruck der Überraschung huschte über sein Gesicht. “Ein wenig so wie Sie.”
    “Sie sagten war. Heißt das …?”
    “Ja. Sie starb, als ich siebzehn war. Jedenfalls war sie klein, freundlich und schüchtern. Ich glaube, es war einer dieser Fälle von Gegensätzen, die sich anziehen, denn mein Dad ist ein sehr großer Mann. Er ist so zäh wie altes Schuhleder und hart und unnachgiebig.”
    Ah, das erklärt einiges, dachte Lauren. Wie der Vater, so der Sohn. Ihre Intuition riet ihr aber, diese Beobachtung besser für sich zu behalten.
    “Wie sind sie sich begegnet?”
    “Damals führte mein Großvater die Ranch. Wegen einer Dürre rund um Monticello fiel die Heuernte in dem Sommer sehr mager aus, während es weiter südlich genügend geregnet hatte. Mein Großvater schickte Dad los, damit er Heu bei einem Navajo-Rancher namens John Zah kaufte. Er war der Onkel meiner Mutter, und sie war zu der Zeit bei ihm zu Besuch.”
    “War es Liebe auf den ersten Blick?”
    “Keine Ahnung, ich war nicht dabei.”
    “Sehr witzig.” Sie warf ihm einen giftigen Blick zu, weigerte sich aber, sich von seinem Sarkasmus entmutigen zu lassen. “Also ich finde, das Ganze klingt sehr romantisch”, sagte sie. “Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass ein Mann eine indianische Prinzessin heiratet und sie auf seine Farm mitnimmt, wo sie bis an ihr Lebensende glücklich zusammenleben …”
    Sam schnaubte. “Das meinen Sie vielleicht.”
    “Was soll das heißen?” Ein beunruhigender Gedanke kam ihr in den Sinn, und sie legte die Stirn in Falten. “Wie haben die Familien auf die Hochzeit reagiert? Es gab doch bestimmt keinen Widerstand, oder?”
    “Sogar von beiden Seiten.”
    “Das ist ja schrecklich.”
    “Mag sein, aber mein Großvater Rawlins und die Familie meiner Mutter waren besorgt, dass Mary nicht glücklich werden würde, wenn sie in der Welt des weißen Mannes leben sollte.” Sam zuckte mit den Schultern. “Sie hatten Recht.”
    “O nein. Die Ehe hat nicht gehalten?”
    “Nein. Meine Mutter hat sich wirklich Mühe gegeben, aber sie hat ihre Familie und das Leben im Reservat einfach zu sehr vermisst. Ich war vier, als sie sich trennten.”
    “Dann sind Sie bei Ihrer Mutter im Reservat aufgewachsen?”
    “Das sollte man denken, zumal die Navajos matriarchalisch ausgerichtet sind und glauben, dass Kinder zu ihrer Mutter gehören. Aber mein alter Herr wollte nicht, dass sie mich von ihm trennte. Oder besser gesagt: von der Farm. Ich war ein Rawlins, und ich war sein einziger Sohn. Seit über hundert Jahren ist die Double R von den Rawlins-Männern bewirtschaftet worden.”
    Klappernd ließ Sams seine Gabel auf den leeren Teller

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