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Zeugin am Abgrund

Zeugin am Abgrund

Titel: Zeugin am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ginna Gray
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und Walt ihm geholfen, diesen Burschen großzuziehen. Selbstverständlich helfen wir ihm. Ich war ja schon völlig außer mir, als ich die Lügen über unseren Jungen im Fernsehen gehört habe.”
    Sie hakte sich bei Lauren unter und zog sie durch den langen Flur mit sich zum hinteren Teil des Hauses. “Jetzt kommen Sie erst mal mit in die Küche. Sie können uns bei einem Tässchen Kaffee und einem Stück Kuchen erzählen, wie Sie beide in diese Sache geschlittert sind.”
    “Ich würde mich gerne erst frisch machen, wenn es Ihnen nichts ausmacht”, sagte Lauren.
    “Aber natürlich können Sie das. Wo habe ich bloß meinen Kopf?” Eunice zeigte ihr den Weg zum Badezimmer und sagte ihr, sie solle sich Zeit lassen und zu ihnen in die Küche kommen, wenn sie fertig sei.
    Im Bad betrachtete Lauren ihr Spiegelbild und schüttelte den Kopf. Ganz gleich, was Sams Tante gesagt hatte, sie war blass und sah mitgenommen aus. Seit fast einer Woche hatte sie kein Make-up mehr aufgelegt. Sie puderte ihre Nase, trug ein wenig Lippenstift auf und kämmte ihr langes Haar. Es war nicht viel, was sie machen konnte, aber für den Augenblick war es besser als nichts.
    Auf dem Weg zur Küche kam sie an einer offenen Tür in der Form eines Torbogens vorbei, der in einen altmodisch eingerichteten Salon führte. Sie blieb abrupt stehen, als sie in dem Raum ein altes Piano entdeckte.
    Lauren fühlte sich von dem Instrument angezogen wie eine Motte, die in der Finsternis einen Lichtschein entdeckt hatte. Sie strich mit der Hand über das Mahagoniholz und zeichnete die kunstvollen Schnitzereien an der oberen Holztafel nach. Das Instrument hatte eine Höhe von gut zwei Metern und war vermutlich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angefertigt worden. Sie hob den Deckel, der die Klaviatur schützte, hoch und ließ ihre Finger über die Tasten gleiten, die im Lauf der Jahre einen vergilbten Farbton angenommen hatten. Einige Tasten waren leicht beschädigt, trotzdem hatte sie noch nie etwas so Schönes gesehen.
    Sie konnte nicht widerstehen, spielte einige Noten und ließ sich von der Schönheit des Klangs davontragen. Ohne bewusst wahrzunehmen, was sie eigentlich machte, ließ sich Lauren auf der Bank nieder und legte die Hände auf die Tasten. Sie schloss die Augen und ließ ihren Fingern freien Lauf, die wie aus eigenem Antrieb die ersten Noten von Mozarts Klavierkonzert in A-Dur anstimmten.
    Die Musik strömte aus Lauren hervor, als hätte man einen Staudamm geöffnet, der um ihr Herz und ihre Seele herum errichtet worden war. Sie ließ sich treiben und verlor sich in der Musik. Eine Melodie ging über in die nächste, dann in eine weitere. In einem Augenblick tanzten ihre Finger federleicht über die Tasten und erfüllten den Raum mit einer betörend schönen Melodie. Im nächsten Moment schlug sie kräftig an und ließ Musik voller Energie und unverfälschter Emotionen erklingen.
    Ein besonders bewegendes Stück endete mit einer hohen, lange gehaltenen Note. Fast zu Tränen gerührt, senkte Lauren den Kopf, während der letzte Ton langsam verhallte. Der Applaus, der darauf folgte, ließ sie erschrocken herumfahren.
    Sie entdeckte Eunice und Walter, die beide auf dem Sofa hinter ihr saßen, und Sam, der in der Türöffnung stand. Alle sahen sie an.
    “Oh, es tut mir Leid. Es tut mir wirklich Leid. Das war unhöflich, ich hätte Sie erst um Erlaubnis fragen müssen, bevor ich …”
    “Lauren ist Konzertpianistin”, erklärte Sam, der sie auf seine so enervierende Art betrachtete.
    “Ich war Konzertpianistin”, berichtigte sie ihn.
    Sam ging zu ihr und legte eine Hand um ihr Kinn, damit sie ihn ansah. “Honey, das war so schön, dass es mir fast das Herz gebrochen hat. Wenn du vor dem Unfall wirklich noch besser gespielt haben solltest, dann hätte ich das nicht überlebt.”
    “Danke, Sam.” Sie sah ihn an und war ausgesprochen zufrieden, nicht nur weil ihm ihr Spiel gefallen hatte, sondern weil er ihr glaubte. Er glaubte ihr wirklich. Einen Moment lang vergaß sie, dass Sams Tante und Onkel mit im Zimmer waren, so sehr verlor sie sich in seinen Augen.
    Als sie merkte, dass die beiden sie beobachteten, zuckte sie zurück. “Trotzdem möchte ich mich entschuldigen. Ich hätte vorher fragen sollen.”
    “Unsinn, Kindchen. Das war die schönste Musik, die dieses alte Piano jemals hervorgebracht hat. Ich fühle mich geehrt, dass Sie auf einem derartigen alten Relikt gespielt haben.”
    “O nein, das ist doch ein wundervolles

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