Zicke
Was soll’s.« Sie gab mir April und nahm sich eine Diätlimo aus dem Kühlschrank. »Ich muss praktisch
jetzt
los, wenn ich noch den Bus erwischen will für ihren Arzttermin.«
»Darren hat den Wagen?«
»Ja.«
»Weshalb hast du ihn heute Morgen nicht zur Arbeit gefahren, dann hättest du ihn jetzt?!«
»Nun, Deanna, ich schätze, dass ich einfach eine dumme, verantwortungslose, nichtsnutzige Mutter bin.« April schrie inzwischen aus Leibeskräften. Stacy schloss die Augen. »Mein Gott! Warum kann sie nicht mal einen Tag lang aufhören zu schreien?«
Ich ließ April in meinen Armen hüpfen. »Ähm, weil sie ein Baby ist?«
|49| »Weißt du was, Deanna? Ich bin froh, dass du es mir bei diesem Thema so richtig reinwürgen kannst, echt.«
»Tut mir leid«, sagte ich zerknirscht. Blitzartig hatte ich ein Bild im Kopf: Stacy, in einem anderen Wohnzimmer, mit einem hübscheren, nichtgrünen Teppich und einem echten Gemälde von einem Leuchtturm über dem Kamin. »Wir werden hier nicht ewig wohnen, Stacy.«
Sie sah mich an.
Ich korrigierte mich. »Ich meine,
ihr
werdet hier nicht ewig wohnen. Du und Darren und April. Und ich auch nicht.« Es war noch zu früh, nicht der richtige Zeitpunkt. »Ich meine nur … eines Tages sind wir hier alle weg.«
»Das hoffe ich doch.« Sie nahm mir April ab und wandte sich zur Haustür. »Ich weiß nicht mal, ob ich den heutigen Tag durchstehe.«
***
Jason und Lee luden mich an diesem Abend ein, mit ihnen zusammen auszugehen. Das war ehrlich gesagt ziemlich nett, weil Lees Eltern sie nur an zwei Abenden die Woche fortließen. Ich hätte das erwähnen sollen, hätte ihnen ein wenig Zeit zu zweit gönnen sollen, denn Lee war ein paar Tage weggewesen, aber natürlich packte ich die Gelegenheit beim Schopfe, aus dem Haus zu kommen.
Lees Mutter fuhr uns in die Stadt, nach Stonestown, in dieses pseudoschicke Einkaufszentrum nahe der |50| San Francisco State University, wo man rumschlendern kann und normalerweise nicht von Möchtegern-Gangster-Kids ausgeraubt wird. Lee saß im Kombi mit ihrer Mutter vorn, und so war ich mit Jason zusammen auf der Rückbank, was sich irgendwie ein wenig komisch anfühlte. Für mich jedenfalls.
Wir hielten vorm Eingang des Einkaufszentrums und Lees Mom verlangte, dass wir uns um neun wieder dort träfen. Neun. Das ist Lees Sperrstunde. Im Sommer! Sie unternahm nicht einmal den Versuch, zu widersprechen.
Als ihre Mutter weggefahren war, fragte Lee: »Okay, wer hat Geld?«
»Ich nicht«, sagte ich.
Jason steckte die Hand in die Tasche. »Ich hab fünf Kröten.«
»Ich habe vier.« Lee zog ein paar Dollarscheine aus ihrer Geldbörse. »Das macht zusammen neun … also drei für jeden. Uh-huu!« Sie ging voraus ins
H&M
, wedelte dabei mit den Scheinen und rief: »Platz da, Leute, wir müssen ein paar Einkäufe erledigen!«
»Schau mal, wie die Verkäufer sich
nicht
um uns scharen«, flüsterte Jason mir zu, und sein Arm streifte meinen, während Lee lachend voranmarschierte.
Ich schnaubte. »Die rufen gleich die Aufsicht.«
Lee wandte sich um, ihre Augen strahlten und sie kicherte immer noch ein wenig. »Kommt schon, ihr Lieben, nicht trödeln. Wir haben nur zwei Stunden, um unser Vermögen zu verprassen.« Sie streckte die Hand aus, Jason rannte ein paar Schritte, holte sie ein |51| und nahm ihre Hand. Ich spürte mich selbst langsamer werden und tat, als ob ich mir ein paar Jeans auf einem Ständer anschauen würde, während sie miteinander schmusten.
***
Nach einer Dreiviertelstunde Schaufensterbummel hatten wir genug davon, über das Marmorimitat zu schlurfen und Yuppie-Pärchen dabei zu beobachten, wie sie Sachen kauften, die wir uns nie würden leisten können. Und mir ging immer wieder der Gedanke durch den Kopf, ich hätte zu Hause bleiben sollen. Ich hatte Lee und Jason beobachtet, wie sie die Hände in die Gesäßtaschen des anderen steckten – als ob es so einfach wäre, ein Pärchen zu sein! Oder wie sie einander mit Blicken kleine Botschaften schickten:
Du bist so süß
oder
Du bringst mich zum Lächeln
oder
Ich mag die Art, wie du das machst.
Oder vielleicht sagten sie:
Schade , dass wir nicht allein sind.
»Vielleicht kann ich mir eines Tages einen halben Ohrring kaufen«, sagte Lee und sah sich die hundertste Schmuckauslage dieses Abends an. »Wenn einer zum Verkauf stünde.«
»Dude«, sagte Jason und legte den Arm über ihre Schulter, »können wir uns mal hinsetzen?«
»Oh. Ich mag es, wenn du mich ›Dude‹ nennst. Er
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