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Zicke

Zicke

Titel: Zicke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Zarr
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würde tatsächlich mit meinem sechsundvierzigjährigen Chef schlafen. Es ist zum Kotzen, dass du so was denkst!« Ich hatte angefangen zu weinen, natürlich.
    Darren schien verwirrt. »Ist dein Chef nicht schwul?«
    Dad wandte sich Darren zu, dann wieder mir. »Ist er das?«
    »Wahrscheinlich schon.«
    Mom lachte nervös. »Warum hast du das nicht
gesagt

    »Was, wenn er es nicht wäre?«, fragte ich. »Wenn er es nicht wäre, was würdet ihr denken? Dass ich mich für eine Pizza aufs Haus von ihm befummeln lasse?«
    Dad senkte die Stimme, den Blick auf mich geheftet, als ob wir die Einzigen im Zimmer wären. »Es ist ja nicht so, dass ich keinen Grund hätte, mich das zu fragen.«
    Und das war es. Ich spürte es fast wie eine hörbare Erschütterung: Das Haus mitsamt uns allen rastete |195| endlich auf den Schienen ein und wir waren unterwegs dorthin, wo wir längst schon hatten hinmüssen. Das war es, was früher oder später passieren musste, und wir wussten es. Das war es, was wir drei Jahre lang versucht hatten zu vermeiden.
    »Du wirst mich immer hassen!« Ich schluchzte jetzt heftig. »Für etwas, das ich mit dreizehn getan hab?«
    »Dein Vater
hasst
dich nicht!«, rief Mom und ließ die Haferflocken auf den Tresen knallen – das war der heftigste Gefühlsausbruch, den ich seit Langem bei ihr erlebt hatte.
    »Das ist es, was du glaubst?«, fragte Dad und sah aus, als wäre auch er den Tränen nahe. »Du glaubst, ich hasse dich?«
    »Was soll sie denn glauben, Dad?«, warf Darren ein.
    Wir alle blickten ihn an und mir ging blitzartig etwas auf: Ich begriff, dass es hier nicht nur um mich und Dad ging, oder um mich und Tommy. Mom und Darren, Stacy, selbst April, Lee, Jason und jetzt Michael … wir alle gehörten zu dieser Geschichte, die passiert war, mit den zwei Leuten auf dem Rücksitz eines klassischen Buick, die etwas Intimes getan hatten, das dann doch nicht intim war, denn es hockten eine ganze Menge Leute auf diesem Zug, der in Wahrheit schon eine so lange Zeit unterwegs war.
    »Ray.« Mom wandte sich Dad zu. »Sag etwas.«
    »Was? Was soll ich denn sagen?«
    Darren und ich beobachteten Mom; ich versuchte, mein Schluchzen zu dämpfen, damit es etwas weniger tierisch klang.
    |196| »Sag ihr, dass du sie liebst«, flüsterte Mom. »Sag es ihr.«
    »Ich … natürlich.« Dad blickte mich an. Mein Dad, mein Vater. Er wollte es sagen, ich wusste es. »Es ist …« Seine Hände fielen schlaff an ihm herab und er verließ die Küche.
    Sekunden später hörten wir die Haustür, dann das Geräusch des startenden und davonfahrenden Wagens.
    Ich ging zur Spüle und riss einige Blätter Küchenkrepp von der Rolle, um mir die Nase zu putzen und die Augen zu trocknen. Mom ließ sich seufzend auf einen Stuhl sinken. »Nun. Du hättest nicht so mit deinem Vater reden dürfen, Deanna. Ich weiß nicht, weshalb du dich unbedingt auf diese Art und Weise ausdrücken musstest.« Sie hob die Hand und ließ sie über den Küchentisch gleiten. »Er hat es schwer, mein Schatz. Immer schon.«
    Ich drückte die Dose Malzbier an meine pochende Schläfe. »Ich weiß.«
    Sie erhob sich und kam auf mich zu, als wollte sie mich umarmen oder wenigstens den Arm um meine Schultern legen. Stattdessen blieb sie vor mir stehen und sagte leise: »Aber das ist keine Entschuldigung, nicht wahr?« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist keine Entschuldigung.« Sie goss sich noch eine Tasse Kaffee ein und starrte aus dem Fenster.
    »Komm mit!« Darren zog mich am Arm.
    Ich folgte ihm nach unten. Mein Kopf fühlte sich wie ein riesiger geschwollener Ballon an, weil ich so heftig geweint hatte; der Hals tat mir weh und |197| ich konnte nur durch den Mund atmen. Ich setzte mich mit einer Schachtel Taschentücher auf Darrens Bett.
    »Alles okay mit dir?«, fragte er besorgt.
    »Ist das wirklich passiert?« Ich war durcheinander, dachte immer noch an das Entsetzen in Dads Gesicht, als ich dieses Wort ausgesprochen hatte – und dass er wenigstens bestritten hatte, mich zu hassen. Dass er sich vielleicht gar nicht deutlicher zu mir bekennen konnte.
    »Ich glaube schon.« Er setzte sich an meine Seite.
    »Ich meine, heilige Scheiße, ich glaube, es ist wirklich passiert.«
    Ich schneuzte mich noch ein paar Mal. »Also«, sagte ich, entschlossen, eine Zeit lang an etwas anderes zu denken. »Wo sind sie?«
    »Bei Stacys Mom.«
    »Ich dachte, die beiden hassen sich.«
    »Tun sie auch.«
    »Wann kommen sie zurück?«
    »Weiß ich nicht. April kommt morgen

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