Zicke
Weile zu Boden, wollte nicht reden, wollte nicht gehen. »Habe ich jetzt Ärger?«
»Mit mir? Nein.« Er steckte seine Brille in die Hemdtasche. »Ich hab’s nicht eilig, verstehst du.«
Die Art, wie er das sagte, ließ mich sicher sein, dass ich mit ihm reden konnte. Er war nicht einer von diesen Hilfspsychologen, die stets nach dem Motto ›Manchmal hilft reden. Was für ein Gefühl hast du dabei?‹ handeln.
»Letzte Nacht«, sagte ich und holte tief Luft, »hab ich was richtig Dummes getan. Oder wenigstens etwas Halbdummes.«
»Okay.«
»Heute …« Ich wollte nicht mehr weinen. Michael wartete. »Heute hab ich wieder Mist gebaut.«
|188| »Mm.«
»Wie ich es dauernd mache.«
»Dauernd?«
»Jaah.«
»Nun«, sagte er. »Irgendwie bezweifle ich, dass du
dauernd
Mist baust.«
»Okay«, entgegnete ich. »Oft. Es muss irgendwann aufhören, ja? Wie viele Patzer leistest du dir, bis du draußen bist?«
Er strich sich über den Schnurrbart. Hinter uns summte der Kühlraum. »Gute Frage. Ich bin … warte mal … sechsundvierzig. Ich garantiere dir, dass ich öfter als du Mist gebaut habe, und ich bin immer noch im Spiel.«
Ich betrachtete ihn: Einfach ein netter Typ mittleren Alters mit seinem eigenen Unternehmen. Er kam ganz gut zurecht. »Hast du je einem Freund etwas richtig Beschissenes angetan?«, fragte ich.
»Ja«, sagte er.
»Ich meine,
wirklich
beschissen?«
»Du willst mir nicht glauben? Sehen wir uns die Fakten an: Ich flog im zweiten Jahr von Stanford. Aus keinem guten Grund, sag ich dir. Ich hatte nur keine Lust mehr auf Hausaufgaben. Du kannst dir vorstellen, was meine Eltern davon hielten. Dann heiratete ich und wurde geschieden – zweimal –, bis ich endlich rausfand, dass ich auf Männer stehe.« Seine Stimme wurde leise. »Ich habe meine Frauen geliebt. Innig. Von wegen einem Freund etwas Beschissenes antun.«
»Ja«, bestätigte ich. »Das ist ziemlich übel.«
|189| »Danke. Aber genug von mir.«
»Ich muss einfach raus aus Pacifica.«
Michael nickte. »Und das wirst du eines Tages auch.
Aber verwechsle einen neuen Ort nicht mit einem neuen Ich. Ich habe das mehr als einmal getan. Du hast mich schon mal gefragt, weshalb ich hierbleibe. Vielleicht deshalb«, sagte er, »jetzt, wo ich darüber nachdenke. Ich kann genauso gut hier mit mir zurechtkommen. Der Ort ist so gut wie jeder andere.« Er zog eine Zigarette hervor und steckte sie sich zwischen die Lippen. »Und was diesen Freund angeht: Es lohnt sich, ›Entschuldigung‹ zu sagen. Selbst wenn er es nicht hören will.«
»Sie.«
Er griff in seiner Tasche nach einem Feuerzeug. »Soll ich dich jetzt nach Hause fahren?«
»Ja.« Ich zog Jasons Hemd über mein
Picasso -
T-Shirt. »Danke.«
***
Darrens Wagen parkte vor dem Haus, aus dem Wohnzimmer fiel auf die Straße Licht, einige von den Weihnachtsleuchten flackerten. Ich stand vor der Tür und fragte mich, was ich drinnen vorfinden würde. Mein Dad ging am Fenster vorbei und ich trat in den Schatten des Hauses, damit er mich nicht sehen konnte. Ich konnte es nicht ertragen, reinzugehen und mir seine Version dessen anzuhören, was mit Stacy passiert war.
Ich ging um die Ecke zur seitlichen Hauswand. Mit |190| den Füßen verhedderte ich mich in einem alten Gartenschlauch, aber sonst machte ich kein einziges Geräusch. Ich ließ mein Schlafzimmerfenster immer ein wenig offen, damit ich nachts den salzigen Nebel riechen konnte. Ich arbeitete mich langsam die Wand empor, kletterte ins Zimmer rein und landete auf meinem Bett. Lange Zeit lag ich im Dunkeln, Jasons Hemd um mich geschlungen.
Es sind Zeiten wie diese, in denen du einen Freund brauchst, einen, den du anrufen kannst, wie spät es auch sein mag, und dem du die ganze Geschichte erzählen kannst, deine eigene Version, bei dem du weißt, dass er auf deiner Seite ist. Wer, fragte ich mich, würde jetzt noch auf meiner Seite sein?
Es war immer Darren gewesen, und letztendlich war r der Einzige auf der Welt, der wusste, wie es war, ein Lambert zu sein. Ich konnte nicht für immer wütend auf ihn bleiben. Er versuchte nur zu tun, was für ihn, Stacy und April das Richtige war. Nach allem, was geschehen war, musste ich zumindest Darrens Gesicht sehen, ehe ich schlafen ging. Ich schob meine Schlafzimmertür ein wenig auf und lauschte. In Moms und Dads Zimmer lief der Fernseher, der Rest des Hauses war jetzt dunkel. Ich schlich über den Flur und legte das Ohr an die Tür zum Untergeschoss, ehe ich so leise wie möglich die
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