Ziemlich böse Freunde: Wie wir die Bandidos in Deutschland gründeten (German Edition)
aus der Erde reißen zu lassen, wie sie es gerade in einer Lagerhalle bei den Anglern veranstaltet haben. Am Ende sind das auch unsere Steuergelder, die mit solchen hirnlosen Aktionen verballert werden, denn: Ja, auch Bandidos zahlen Steuern – wer hätte denn das nun gedacht?
Wir erleben es heute häufig, dass gestandene Männer, die mitten im Leben stehen, mit einem Mal bei uns im Clubhaus stehen oder uns auf Partys ansprechen und erklären, wie gerne sie den Bandidos beitreten wollen. Ich kann das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, schließlich kommen viele Männer in ihrem Leben an einen Punkt, an dem sie eine massive Veränderung vornehmen wollen. Mal ist es ein unvernünftiger Sportwagen, manchmal ein 23-jähriges Mädchen – oder eben ein Rockerclub. Das ist der eine Teil unserer Anwärter.
Die anderen sind häufig Typen, die es irgendwie im Leben nicht geschafft haben, sich Respekt und Anerkennung zu erarbeiten. Das sind die, die glauben, sie könnten mit einer Kutte etwas darstellen. Kleine Pisser, die ohne Clubemblem kein Mensch je richtig ernst oder wahrnehmen würde. So was geht in der Regel auch nicht gut. Die Typen in der Midlife-Crisis wissen meistens gar nicht, auf was sie sich einlassen, und die kleinen Wichtigtuer machen früher oder später Probleme – im Club und außerhalb, weil sie sich mit den Colours auf dem Rücken Dinge erlauben, die sie sich sonst nie trauen würden. Nur die wenigsten aber sind heutzutage richtig in die Rockerszene hineingewachsen, so wie es bei uns der Fall war.
Ich selbst bin 1962 im polnischen Gliwice (Gleiwitz) geboren worden und mit einem Jahr mit meiner Mutter zusammen nach Gelsenkirchen gekommen. Meinen leiblichen Vater kannte ich nicht, mein Stiefvater – mit dem meine Mutter dann noch zwei weitere Kinder hatte, meine Schwestern – war Schlosser und Betriebsrat. Für mich jedoch war er nicht der Stiefvater, sondern wie ein richtiger Vater, und ich scheue mich noch heute, ihm den Zusatz »Stief« zu geben. Unsere Familie wohnte in einem klassischen Gelsenkirchener Arbeiterviertel, in der für uns Jungs schon seit frühester Kindheit das Gesetz der Straße galt.
Das gesamte Leben spielte sich mehr oder weniger auf der Straße ab, und ich erkannte schon recht früh, dass es da draußen im Grunde nur eine Möglichkeit gab, sich durchzusetzen: Stärke. Da wir zu jener Zeit ständig auf der Straße gebolzt hatten, ich offenbar ganz gut kicken konnte und mein Stiefvater zum Betreuerstab von Schalke 04 gehörte, kam ich mit elf Jahren in die Schalke-Jugend.
Von da an hieß es nur noch trainieren, trainieren, trainieren. Ich war gut, richtig gut und konnte durchaus realistisch davon träumen, später Fußballprofi zu werden. In der B-Jugend stand ich damals mit Wolfram Wuttke und Hans-Jürgen Draxler, dem Vater von Julian Draxler, auf dem Platz, hatte es mit Gegnern wie Michael Zorc zu tun und holte mit Schalke im Jahr 1978 die Deutsche B-Jugend-Meisterschaft.
Auf der Straße hatte ich über den Fußball zwar Anerkennung gewonnen, dennoch gab es da eine Gruppe von Typen, deren dunkle Aura ich irgendwie anziehend fand: Motorradrocker. Sie nannten sich Hot Wheels. Das waren Kerle Anfang 20, die mit ihren Karren am Straßenrand standen, immer eine Traube Jungs um sie herum, die sie bewunderten, und – vor allem – immer die hübschesten Mädels auf dem Sozius. Da stand ich also mit meinen durchtrainierten Beinen, fit und immer gut ausgeschlafen, da ich ja noch mit 15 und 16 abends um acht ins Bett musste, um am folgenden Tag die unzähligen Trainingseinheiten zu überstehen, und träumte von der großen, weiten Welt, die nur ein paar hundert Meter von mir entfernt begann, und zwar mit einer schweren, schwarzen Lederjacke ... Ich war Sportler, der Fußballer mit Zukunft, und die anderen, die am Ende der Straße, das waren die coolen Typen. Und ich fühlte mich zwischen diesen beiden Welten hin und her gerissen …
Die Straße
von Peter M.
Wenn man wie ich in Gelsenkirchen in der Röhrenstraße aufgewachsen ist und »nur« vier Geschwister hatte, gehörte man fast schon zu den Außenseitern. In der Gegend hatten die Familien acht oder zehn Kinder, ein Paar hatte sogar 19 Kinder. Wie die Orgelpfeifen. Als ich 1964 zur Welt kam, waren zwei meiner Brüder bereits 18 und 20 Jahre alt. Meine Schwester war elf Jahre, mein dritter Bruder Uli neun Jahre älter als ich. Ein richtiger Nachzügler also.
Uli wurde schon bald Rocker-Uli genannt, weil er eine Lederjacke
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