Zigeuner
kehre binnen drei Monaten reuevoll zurück, der Herr jedoch ausbleibt, dann hat die Wahrsagerin ein Problem.« Um derlei Probleme gewissermaßen vorbeugend an den Absender zu retournieren, praktizierten ein paar todernst dreinblickende Zigeunerinnen vor laufenden Fernsehkameras ein bisschen Voodoo-Hokuspokus. Am Neujahrstag 2011 drohte die Hexe Bratara Buzea über den Fernsehsender Realitatea der Regierung mit Bannfluch, wobei sie durchblicken ließ, womöglich ein hochwirksames Gebräu aus Pfeffer, Erde, auf der zuvor Hunde gekämpft hatten, und irgendwelchen Teilen von Tierkadavern zum Einsatz zu bringen. Mit der Macht schwarzen Zaubers, so ließ Bratara wissen, werde sie Zwietracht säen in der Regierung, was Kathrin Lauer im Wiener Standard zu dem klugen wie beruhigenden Kommentar veranlasste, dann bleibe ja in Rumänien alles beim Alten.
Wie viel Glück die Hexen bislang in die Welt brachten und wie viel Unglück sie qua magischer Potenz verhinderten, vermag ich nicht zu beurteilen. Fest steht indes, dass die hellsichtigen Damen des Öfteren allerlei groben Unfug anrichten. Im harmlosesten Fall produzieren sie Enttäuschungen, wenn sie heiratswilligen Paaren pralles Liebesglück, prächtige Kinder, ein flottes Auto und ein schmuckes Heim aus den Linien der Hand lesen, verbunden mit der Warnung an die künftige Gattin, stets ein waches Auge auf neidische Nebenbuhlerinnen zu werfen. Im schlimmsten Fall verliert die Klientel Geld, Haus und Hof, womöglich auch den Verstand, was dem Faktum geschuldet sein dürfte, dass sich die Torheit der Kunden und die Schlauheit der Zukunftsdeuterinnen wunderbar ergänzen.
Ungezählte Male seit ihrer Ankunft in Europa wurde die Wahrsagerei als Einkommensquelle der Zigeuner von Chronisten bezeugt. Bereits unter den ersten Roma, die 1427 die Tore von Paris erreichten, lasen Frauen den Franzosen aus deren Handlinien die Zukunft voraus. Zunächst waren die Pariser den Fremden noch mit Neugierde und Wohlwollen begegnet. Womöglich deshalb, weil die Zigeuner ihnen die phantastische Mär auftischten, sie seien aus ihrem Königreich in Klein-Ägypten aufgebrochen und auf einer vom Papst verordneten siebenjährigen Buß- und Pilgerreise zu den heiligen Schreinen der Christenheit unterwegs. Nur währte die Gunst der Gastfreundschaft nicht lange. Roger Moreau schreibt in Kinder des Windes, seiner Biographie des Volkes der Sinti und Roma: »Der Erzbischof von Paris exkommunizierte die ganze Bande von Zauberern und Wahrsagern und ließ sie aus der Stadt treiben … Paris hatte sie satt. Seine Bürger konnten sich nicht an die Taschendiebstähle gewöhnen, und die Kleinbauern beschwerten sich, innerhalb eines Radius von fünf Kilometern sei kein Huhn vor ihnen sicher.«
Von derlei Erfahrungen mit dem »schwartz, wüst und onfletig volck« der »züginer« berichtet auch der Humanist Sebastian Münster in seiner Cosmographia von 1550. »Ihre alten Weiber ernähren sich mit Wahrsagen, und dieweil sie den Fragenden Antwort geben, wieviele Kinder, Männer und Weiber sie haben werden, greifen sie mit wunderbarlicher Behändigkeit ihnen zum Seckel oder zu der Taschen und leeren sie …« Über vierhundert Jahre nach dem Universalgelehrten schreibt der kanadische Rom Ronald Lee in seinem autobiografisch gefärbten Roman Verdammter Zigeuner: »Wahrsagen war in der Provinz Quebec verboten, doch die Polizei in den Slums ignorierte entweder die Wahrsagerinnen oder bestrafte sie regelmäßig mit einer Geldbuße wegen Prostitution. Ein paar Zigeunerinnen verbanden die Wahrsagerei mit Taschendiebstahl.«
Wenn an dieser Stelle der Eindruck entsteht, Zigeuner seien quasi seit alters auf das Nehmen und nicht auf das Geben aus, so muss dem widersprochen werden. Aus eigener Erfahrung, gewiss. Aber auch im Namen der Wissenschaft. Folgt man Politologen wie Markus End, dann betteln, stehlen und wahrsagen Roma nämlich gar nicht. Sie betteln, stehlen und wahrsagen nur »angeblich«. So gesehen hat Sebastian Münster in seiner Beschreibung der Zigeuner lediglich stereotype Bilder gezeichnet und Vorurteile geschürt, die laut Markus End »bis in die Gegenwart Bestand haben: Wahrsagen, Diebstahl, Betteln, Heimatlosigkeit, Religionslosigkeit«. Für den Historiker Ulrich F. Opfermann sind die Vorstellungen, die Zigeuner seien zwanghafte Nomaden, Diebe oder Rosstäuscher, denen »betrügerisches Wahrsagen als wesentliche Erwerbsquelle« diene, lediglich »Konstrukte«. Genauer gesagt, antiziganistische Konstrukte.
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