Zigeuner
und verlangte hundert rumänische Lei, was dem heutigen Wert von zweiunddreißig Cent entsprach. Was sollte ich sagen? Das war die beste Prophezeiung, die mir je gemacht wurde. Gestehen muss ich allerdings auch, dass vier Wochen ganz schön lang werden können.
Deshalb bin ich im Lauf der Jahre bei meinen finanziellen Investitionen in wahrsagende Zigeunerinnen zurückhaltender geworden. Übersetzt in die Sprache der Banker und Börsenmakler ließe sich sagen: Aus dem risikofreudigen Spekulanten wurde ein konservativer Anlegertyp. Eigentlich ist die Sache simpel. Der Preis für den Blick in die Zukunft ist ökonomisch betrachtet nichts anderes als eine Prämie für eine optimistische Kursprognose. Die Zigeunerinnen schaffen mit ihren netten Prophezeiungen im Grunde nur ein positives Investitionsklima. Deshalb ist es auch grundverkehrt, ja geradezu kontraproduktiv, wenn akademische Zigeunerforscher das Bild der Kartenlegerin oder Handleserin als Klischee oder gar als antiziganes Stereotyp diskreditieren. Diese Leute begreifen nicht, dass die Roma-Frauen in ihren weiten Röcken nur eine preiswerte Variante des Finanzberaters im Nadelstreifen und der Fondmanagerin im Businesskostüm sind. Ihre Voraussagen für künftige Gewinne sind allesamt schön, nur eben viel zu schön, um wahr zu sein.
Doch die Zeiten haben sich geändert. Hätte Tereza Calderaru nach dem 31. Dezember 2010 für mich die Karten gedeutet, so wäre ihre Tätigkeit kein sozialer Akt zur Bekundung gegenseitiger Gewogenheit, sondern eine steuerrechtlich relevante Dienstleistung gewesen. Tereza hätte mir eine Quittung ausstellen und sechzehn Prozent ihres Honorars an den rumänischen Fiskus abtreten müssen. Ich wiederum könnte ein Gericht bemühen, um die Zigeunerin wegen Vertragsbruchs in Regress zu nehmen, aufgrund des Nichteintretens einer finanziell jedoch abgegoltenen Zukunftsprognose. Politiker lassen sich solche Gesetze einfallen. Warum sie das tun, verlangt zumindest den Versuch einer Erklärung.
Noch immer ist in Rumänien etwas von dem geistigen und geistlichen Vakuum zu spüren, das der Wahn der sozialistischen Securitate-Despotie in den Köpfen und Herzen hinterlassen hat. Diese Leerstelle verschwand auch nicht mit dem Beitritt zur Europäischen Union 2007. Sie macht Rumänien zu einem Land mit vielen suchenden, aber auch verunsicherten Menschen, und damit zu einem Paradies für die Ghicitoare und Vrajitoare, für Wahrsagerinnen und Magierinnen, im Volksmund kurz »Hexen« genannt. Und weil in dem vom Aberglauben geplagten Karpatenland eine enorme Nachfrage nach okkultem Beistand herrscht und weil sich niemand auf dieses Geschäft besser versteht als die Zigeunerinnen, gibt es in Rumänien viele Hexen. Viertausend sollen es sein. Manche Medien sprechen sogar von 20 000. Seitenweise bieten sie in den Zeitungen ihre Dienste an, bei Gesundheitsproblemen, Geldnöten, Arbeitslosigkeit und selbstverständlich bei verkorksten Liebesdingen jedweder Art. Einige Zigeunerinnen wie die Zauberinnen Omida, Loredana, Sidonia, Rodica oder Maria Campina sind sehr berühmt, manche residieren in prachtvollen Marmorpalästen. Junge Frauen wie Gabriela Ciucur haben dafür gestritten, dass die hellsehende Zunft als ehrbarer Berufsstand anerkannt wird, nicht voraussehend allerdings, dass solch eine Anerkennung nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten mit sich bringt. Zum Beispiel die Pflicht, Steuern zu zahlen. Denn wenn die Wahrsagerinnen in die Glaskugel blickten, schaute der rumänische Fiskus bislang in die Röhre. Künftig jedoch müssen Astrologen, Hellseher und Magierinnen, steuerrechtlich gleichgestellt mit Parkplatzwächtern und Leichen-Einbalsamierern, dazu beitragen, die Finanzlöcher des defizitären Staatshaushalts zu füllen.
Es bedurfte nicht der Gabe des Hellsehens, dass die orakelnden Frauen wenig geneigt waren, sich dem obrigkeitlichen Reglement zu unterwerfen. Die selbsternannte »Königin der weißen Magie«, Maria Campina, meinte, die Hexen hätten ihr Soll an staatsbürgerlichen Pflichten schon deshalb übererfüllt, weil sie an christlichen Feiertagen geheime Rituale praktizierten, um drohende Naturkatastrophen vom Land fernzuhalten. Einige Branchenkolleginnen kündigten öffentlich an, mit den ureigenen Methoden der schwarzen Magie gegen missliebige Politiker zurückzuschlagen. Etwa gegen den Parlamentarier Alin Popoviciu von der Demokratisch-Liberalen Partei. Hatte er doch erklärt: »Wenn eine Hellseherin verspricht, der untreue Gatte
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