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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Rücken.
    »Iss gutt«, sagte sie sichtlich zufrieden und stopfte ein letztes Mal Haare und Geld in ihre Hände. Ich spuckte noch einmal kräftig. Sie ballte die Fäuste. Reckte sie zum Himmel. Öffnete sie wieder. Die Haare waren weg. Das Geld auch. Mit theatralischem Erstaunen blickte sie mich an, wies mit dem Zeigefinger in Richtung Heller Berg.
    »Die Madonna hat genommen Geld. Mysteria, verstehst du, himmlische Mysteria.«
    Ich hätte losplatzen können vor Lachen, sagte ihr aber mit todernster Miene, dass ich erleichtert sei, das Geld – alles in allem wohl dreißig Deutsche Mark – in so guten Händen zu wissen.
    Wir rauchten noch eine Zigarette zusammen, lachten viel und waren völlig einer Meinung darüber, dass das Mysterium der Schwarzen Madonna keinen besseren Ort hätte finden können als Tschenstochau und dass Wallfahrer, die der Weg zu der wunderwirkenden Gottesmutter führt, wirklich gute Menschen sind. Mal abgesehen von knickrigen Geizhälsen und schlauen polnischen Katholiken, die in den Tagen um das Fest Mariä Himmelfahrt ohne Geldbörse den Hellen Berg hinaufpilgern.
    Ach ja, zum Abschied erfuhr ich noch, dass es der Himmel ausgesprochen gut mit mir meine und ich schon in naher Zukunft mit irdischen Reichtümern sehr, sehr üppig gesegnet sein würde. Wobei ich heute rückblickend anmerken muss, dass meine und die zigane Vorstellung von »naher Zukunft« in diesem Fall doch ziemlich divergieren.
    Nun mag es verdächtig scheinen, dass ich ähnliche Prophezeiungen auch von anderen rumänischen Zigeunerinnen erhielt, von denen ich mich am liebsten an die alte Tereza Calderaru aus Voila am Fuß der Fogeraschen Berge erinnere. Ich mochte die Siedlung und die dort lebenden Kalderasch, und die Leute mochten mich. Weil ich so ein schönes rotes Auto hatte, wie alle unentwegt bekundeten. Es war ein französisches Fabrikat. Die Männer und Kinder waren schwer beeindruckt, weil sich das Fahrwerk hydraulisch heben und senken ließ, ein nicht zu unterschätzender Vorteil bei Straßen, bei denen man nicht weiß, wo die Pfütze beginnt und das Schlagloch endet. Die Frauen waren noch begeisterter, weil der knallrote Lack des Wagens im Sonnenlicht so wunderbar mit der Farbe ihrer Röcke und den goldenen Maria-Theresia-Talern harmonierte, die sie in ihre schwarzen Zöpfe eingeflochten hatten. Natürlich wollte ich das Auto weder verkaufen noch gegen ein Pferd mit Kutsche eintauschen, aber Terezas Bruder Niculae Calderaru, das Sippenoberhaupt, der sogenannte Bulibascha, bestand darauf, dass ich alle Familien der hundertzwanzigköpfigen Gemeinschaft vor dem Auto mit dem Fotoapparat porträtierte. Dabei ging eine ganze Filmrolle drauf. Was freilich nötig war, weil Niculae meinte: »Zeig die Bilder deinen Leuten in Deutschland und sag ihnen, dass die Kalderasch aus Voila ehrliche Zigeuner sind.« Ich versprach dies zu tun.
    Irgendwann bot mir Tereza Calderaru ihre Wahrsagedienste an, wobei ihr Blick in mein Schicksal fraglos jeden Lei ihres bescheidenen Tarifs wert war. Die Fünfundsiebzigjährige setzte sich auf eine grüne Wiese am Ufer des Flusses Olt, drehte sich von meinem halbschwarzen holländischen Tabak eine daumendicke Zigarette und lud mich ein, ihr gegenüber Platz zu nehmen. Sofort scharte sich das halbe Lager um uns. Neugierige Rotznasen, Halbwüchsige mit Glimmstängeln im Mundwinkel, Mütter mit Säuglingen an der Brust und Männer, die an allzu vorlaute Kinder Kopfnüsse verteilten. Tereza griff in ihre Rocktasche und kramte ein zerfleddertes Kartenspiel hervor.
    »Zieh eine Karte«, sagte sie.
    Ich zog und betrachtete das abgewetzte Blatt, dessen Farbe sich kaum mehr identifizieren ließ. Tereza warf einen knappen Blick auf die Schicksalskarte und schloss die Augen. Sofort verstummte der Pulk der Schaulustigen, und es trat eine fast weihevolle Stille ein. Als die Alte die Augenlider wieder aufschlug, strahlte sie mich an.
    »In vier Wochen, wenn du in Deutschland zurück bist, wirst du einen Mann treffen. Er ist reich. Oh, oh, oh, er ist sehr reich. Ein Millionär. Aber er ist all des Reichtums müde. All sein Geld wird er verschenken. Und zwar dir. Dir ganz allein.«
    In vier Wochen schon?
    »So ist es!«
    Die Umstehenden lachten, gratulierten, schüttelten mir die Hände. Möglicherweise waren die Zigeuner aus Voila begnadete Schauspieler. Ich hatte indes den Eindruck, ihre Freude war echt. Sie hatten tatsächlich Anteil an meinem künftigen Glück. Tereza nickte bedeutsam, hielt die Hand auf

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