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Zigeuner

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Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Politiker und schon gar nicht als Verwaltungsbürokrat. »Ich bin Forscher«, betonte er. Das klang banal. Aber nur vordergründig. Der schlichte Satz signalisierte, dass der Kriminalhistoriker die sozialen Konflikte Ungarns nicht durch parteipolitische Brillen und ideologische Filter erklären, sondern in der Auseinandersetzung mit der Realität verstehen wollte. Ein gefährliches Unterfangen. Póczik wusste zu gut, dass Worte nicht unschuldig sind und dass ein unabhängiger Wissenschaftler, egal ob er eine tatsächliche oder bloß vermeintliche Kriminalität unter den Roma erforschte, sich auf hochsensibles, politisch vermintes Terrain begab.
    Zu Zeiten der ungarischen Diktatur war der Begriff »Zigeunerkriminalität« ein Terminus technicus der Polizei. Auch den Kommunisten war nicht entgangen, dass ein Leben auf der untersten Stufe der sozialen Leiter Diebstähle, Raubüberfälle und Gewalttaten – wenngleich kaum Tötungsdelikte – begünstigte. Schwerlich ließ sich übersehen, dass die nationale Minderheit in den staatlichen Gefängnissen überproportional viele Insassen stellte. So führte man in den siebziger und achtziger Jahren über die Roma eigene Kriminalstatistiken, die jedoch 1988 aufgelöst wurden. Teils aus humanrechtlicher Einsicht, schließlich hatte die Göttin Justitia angesichts der Ethnie von Straftätern farbenblind zu sein, teils aufgrund der Fragwürdigkeit der Daten. Die Statistiken hatten sich als untauglich erwiesen, ohne Erkenntniswert, da viele Roma sich in ihrer Selbstidentifizierung gar nicht als Roma bezeichneten, so dass niemand mehr wusste, von wem überhaupt die Rede war.
    Szilveszter Póczik war daran beteiligt, als im postsozialistischen Ungarn der Sinn für Bürgerfreiheiten und Menschenrechte erstarkte und das Wort »Zigeunerkriminalität« zwar nicht aus der Umgangssprache, wohl aber aus dem polizeilichen und juristischen Vokabular verbannt wurde. Zum einen, um die große Mehrheit der rechtschaffenen Roma zu schützen, die mit Kriminalität nichts zu tun hatten. Zum anderen, so Póczik, um »auch auf der begrifflichen Ebene die Kontinuität von der Diktatur zur Demokratie zu unterbrechen«. Das war gut gemeint, zeitigte aber einen unkontrollierten Nebeneffekt. Der verbale Traditionsbruch fand nicht im Alltag der Bürger statt sondern vielmehr im reinen Denken einer Meinungselite. Dort erblühte, wie Póczik selbstkritisch monierte, »eine Political Correctness, zu der ich selber eine Weile einiges beigetragen habe. Nur geriet diese Korrektheit immer mehr zu einer Sammlung von Sprach-, Begriffs- und Denkverboten, so dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sah. Wer die massive Kleinkriminalität unter den Roma beim Namen nannte, wurde von radikalliberalen Politikern als Rassist angeklagt. Eifernde Menschenrechtler übten einen enormen Druck aus. Auch in der Wissenschaft. Es herrschte ein Klima, in dem einem sehr schnell angehängt wurde, man sei ein Nazi und Faschist.«
    In den Nullerjahren der sozialliberalen Koalition in Ungarn sprach kaum jemand aus, was auch ohne Statistiken offensichtlich war. Nach internen Unterlagen der Mitteleuropäischen Polizeiakademie von einem Fachkongress im österreichischen Ybbs galten die Roma in mehrfacher Hinsicht als »kriminologisch relevante Gruppe«. Sie waren gefährdet als Opfer von Diskriminierung und Gewalt, aber sie fielen auch auf als Täter. Als solche waren sie verantwortlich für Delikte, die sich nicht mehr als Armutskriminalität kleinreden ließen. Die Mörder Marian Cozmas waren reiche Schutzgelderpresser und Kreditwucherer, die auf Fotos mit einem Mercedes protzten. Unbehelligt von der Polizei hatten ihre Familienclans ganze Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht. Im Zuge einer gesellschaftlichen Liberalisierung knüpften sie ein mafiöses Netz, das sich unter der repressiven Staatsmacht zu Zeiten der ungarischen Volksrepublik nie hätte entfalten können.
    Im Kommunismus, so Póczik, spielte die organisierte Kriminalität unter den Zigeunern keine Rolle. Wohl hätten einige Großfamilien von der Prostitution gelebt und ihre Frauen und Mädchen auf den Strich geschickt. Erst nach dem Fall der Grenzen weitete sich das Geschäft aus, von Ungarn, Rumänien oder Bulgarien in Richtung Italien, Deutschland, der Schweiz, Holland und ganz Westeuropa. »Das ist keine lokale Zuhälterei mehr, das ist organisierter Menschenhandel.« Im Gegensatz zur klassischen Mafia operierten kriminelle Roma nicht in hierarchischen

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