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Zigeuner

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Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Roma-Frage durch die politischen Extreme instrumentalisiert wurde.« Zum großen Wahlerfolg der Rechten 2010 vor allem im ländlichen Osten Ungarns, so analysierte das Nachrichtenportal Hungarianvoice, habe der Eindruck beigetragen, die als hoch wahrgenommene Kriminalitätsrate unter den Roma werde »von der Politik seit Jahren verschwiegen«.
    Irgendwann fiel mir auf, dass wir Journalisten uns mit empathischer Solidarität an die Seite der Zigeuner stellten, wenn es galt, rassistische Übergriffe gegen die Roma publik zu machen. Auch der Film Czak a szél, deutsch Nur der Wind, des ungarischen Regisseurs Bence Fliegauf, der die Angst einer Roma-Familie vor rechten Killertrupps in beklemmend dichten Bildern einfängt, wurde auf der Berlinale 2012 euphorisch bejubelt und mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet. Andererseits schienen die Schicksale der Opfer aus der Mehrheitsgesellschaft, sei es in Ungarn, Rumänien, in Tschechien oder der Slowakei, auf befremdend kühle Weise niemanden zu berühren. Selbst die Erfahrungen der integren Roma, die unter der Kriminalität innerhalb ihrer Ethnie am meisten litten, waren in der Berichterstattung nicht präsent. Die Medien folgten damit der politischen Leitlinie, wie sie in der Bundesrepublik auch der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma vertrat. Der Vorsitzende Romani Rose, der seit über drei Jahrzehnten in der Öffentlichkeit als der Repräsentant der deutschen ziganen Minderheit firmiert, hatte sich wiederholt mit Erklärungen zu den Ursachen der Gewalt gegen die Roma in Ungarn zu Wort gemeldet. Nach einem Besuch in Tatarszentgyörgy, wo Rose den Angehörigen des ermordeten Róbert Csorba und dessen Sohn Robika kondolierte, bekundete der Sinto, in Ungarn sei »eine von Hass vergiftete Atmosphäre« entstanden. Es sei beängstigend, »wie weit der Rassismus gegen Roma in die ungarische Bevölkerung vorgedrungen sei und als alltäglich hingenommen werde«. Ähnlich äußerte sich Rose 2011 auch in Auschwitz, wo er an den Völkermord an den Juden und an seinem eigenen Volk erinnerte und einen Bogen von der Nazi-Barbarei zur Jetztzeit schlug. »Diskriminierung und rassistische Gewalt sind an der Tagesordnung«, beklagte er. »Der jüngst erfolgte Rechtsruck in Europa, nicht zuletzt aufgrund wirtschaftlicher Verwerfungen als Folge der Finanzkrise, muss uns mit tiefer Sorge erfüllen. Nationalistische Kräfte, die Minderheiten gezielt als Sündenböcke benutzen, gewinnen immer mehr an Boden.«
    Damit sagte der Vorsitzende des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma ziemlich genau das, was man von einem Zentralratsvorsitzenden erwartet: Die diskriminierten Roma sind Opfer, ungarische Rassisten sind Täter. Das ist unstrittig eine Wahrheit. Allerdings eine halbierte, weshalb sie auch nichts Erhellendes zum Verständnis des Dilemmas der Roma beiträgt. Nun lehrt die Geschichte Osteuropas indes auch, dass man die Verlautbarungen von Zentralkomitees nicht allzu hoch hängen sollte. Waren die Eliten des revolutionären Proletariats doch wahre Meister im Verbreiten von Halbwahrheiten. Da haben sich die Roma-Funktionäre einiges abgekupfert. Etwa den selektiven Blick. Mit einem Auge nimmt er konturenscharf jedes Unrecht wahr, das den Zigeunern angetan wird. Nur bleibt das zweite Auge geschlossen, blind für den Hass, der hochkocht, wenn die Entwurzelten und Ghettoisierten zurückschlagen.
    Nachdem die Romni Maria Balogh im ungarischen Kisléta von dem Debreciner Killerquartett kaltblütig erschossen wurde, wandte sich der Zentralratsvorsitzende Romani Rose in einem Schreiben an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Obwohl die Täter seinerzeit noch unbekannt waren, machte Rose in seinem Brief die Propaganda der rechtsradikalen Partei Jobbik und ihre inzwischen verbotene Organisation Ungarische Garde für den Mordanschlag verantwortlich, »wenn nicht direkt, so indirekt wegen ihrer massiven romafeindlichen Aktivitäten, die unmittelbar zur Gewalt aufrufen«. So argumentierte auch die dem Zentralrat nahestehende Gesellschaft für Antiziganismusforschung in Marburg, die eine Parallele zum deutschen Nationalsozialismus ausmachte. Demnach wurde die Ungarische Garde von der Jobbik-Partei in Anlehnung an die SA -Sturmabteilung der Nazis aufgebaut. Zu Brand- und Mordanschlägen sei es gekommen, nachdem die Garde mit Hetzparolen und Kampfliedern durch Roma-Siedlungen marschierte.
    Solche Behauptungen klingen plausibel. Nur offenbart sich ihre Glaubwürdigkeit weniger über das Gesagte. Ihr

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