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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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sich per Zufall im Flughafen begegneten, hatten drei Jahre im Sexgewerbe ihre Spuren hinterlassen. Dana war schwanger und auf dem Weg nach Sofia, um das Kind wegmachen zu lassen. Es war ihr dritter Abort. Zu einem vierten sollte es nicht kommen. Dank SOLWODI und Petja Deleva ist Dana heute die Mutter ihres einjährigen Sohnes Selim. »Mein Sonnenschein«, sagt sie. Die SOLWODI -Frauen haben Dana bei ihrem Ausstieg aus der Prostitution unterstützt und dafür gesorgt, dass die junge Mutter nicht durch die sozialen Sicherungssysteme fällt. 2014, wenn die Bulgarin ein legales Arbeitsverhältnis eingehen kann, will sie sich einen festen Job suchen. »Als Putzfrau, irgendwas, nur nicht Bordell.« Dana wünscht sich, dass Deutschland ihr und ihrem Jungen eines Tages Heimat wird.
    »Nein«, sagte Radka Inkova, »zu Hause fühle ich mich nirgendwo.« In Bulgarien würde sie dem Familienclan ihres einstigen Peinigers in die Hände fallen, in Dortmund bleibt sie nur, weil sie Sehnsucht nach ihrem Sohn Nico hat, den sie manchmal in seiner Pflegefamilie besucht.
    Weil sie ständig angerufen wurde, hatte Radka ihr Telefon während unserer Begegnung stumm geschaltet. Am frühen Abend jedoch wurde sie nervös, war kaum noch in der Lage, das Vibrieren ihres Handys zu ignorieren. Plötzlich brach sie in Tränen aus. Wie aus dem Nichts. Sie bekomme wieder ein Kind, weinte sie. Von ihrem jetzigen Freund, der auch aus Stolipinovo stamme und der zu ihr in ihre kleine Wohnung gezogen sei.
    Irgendwann nahm Radka den Hörer ab. Sie zitterte, heulte und schimpfte. Ihr Freund mache Stress, sagte sie später. Er terrorisiere sie. »Ich soll nach Hause kommen. Sofort. Er weiß nicht, wo ich bin, und wirft mir vor, ich würde mich mit anderen Kerlen herumtreiben.« Sie wolle allein leben, schluchzte sie schließlich. »Ohne Mann! Immer dieser Streit, immer dieses Geschrei, jeden Tag. Ich halte das nicht aus.« Ich fragte sie, ob ihr neuer Freund sie auch schlage. Radka Inkova schüttelte den Kopf und rieb sich die Tränen aus den Augen. »Nein, geschlagen hat er mich noch nicht.« Dann verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg zurück in irgendeine Sozialwohnung in Dortmunds Nordstadt, zu einem Mann, den sie ihren Freund nannte.
    * Die Namen aller Roma-Frauen wurden zu ihrem Schutz geändert.

KAPITEL 11
    Antiziganismus überall
    Zwischen Melancholie und Sehnsucht: Alexandras »Zigeunerjunge« – Kitsch, Klischee und Spießerträume – Die letzten Nonkonformisten oder ein Volk ohne Eigenschaften? – Anti-Antiziganisten: das Kartell der Trüffelsucher – Der Amoklauf der politischen Korrektheit – Der bittere Rauch des Menyhert Lakatos – Und es blieb alles leer: Zigeuner, ohne Blut und ohne Seele
    Ich war elf, als ich 1968 zum ersten Mal Alexandras »Zigeunerjunge« hörte. Immer wieder wurde der »Zigeunerjunge« damals im Radio gespielt. Mein Vater liebte dieses Lied, und auch ich hörte es gern. Es erzählte von der Sehnsucht, die in einem Mädchen geweckt wurde, als Zigeuner mit ihren bunten Wagen und zottigen Pferdchen in die Stadt kamen. Angezogen von ihrem Zauber lief das Mädel ihnen hinterher, sah sie tanzen und lachen und abends einen Jungen am Feuer Gitarre spielen. Über das Verbot, wieder zu den Zigeunern zu gehen, siegte das Verlangen, diesen Jungen zu sehen. Und sei es auch nur versteckt aus der Ferne. Das Mädchen rannte fort, heimlich, doch der Ort, an dem die Fremden tags zuvor noch ihre Lieder gesungen hatten, war verlassen.
    »Zigeunerjunge, Zigeunerjunge,
wo bist du, wo sind eure Wagen?
Tam ta ta ta ta tam tam, ta tam tam ta tam,
doch es blieb alles leer,
und mein Herz wurde schwer.«
    Mein Onkel, der eine ausladende Musiktruhe besaß und viel Geld für seine Schallplattensammlung ausgab, kaufte sich die 45er-Mono-Single von Philips und nudelte die Platte so oft ab, bis sie knisterte und rauschte. Auf der abgegriffenen Papierhülle schaute uns eine junge Frau an, dunkelhaarig und schön. Ihr Augenaufschlag war unglaublich, ebenso aufreizend wie scheu, was Alexandra eine mächtige Anziehungskraft verlieh, aber auch den Hauch geheimnisvoller Unnahbarkeit. Wer sonst als diese Frau hätte das Lied »Zigeunerjunge« singen können, ja singen dürfen? Heute, im Rückblick, scheint es mir, als sei Alexandra keine Schlagersängerin gewesen, sondern eine Magierin, die jeden verzauberte, der ihrer warmen und rauchigen Stimme lauschte.
    Doch es blieb alles leer! Ich war damals zu jung, um die unaufdringliche eher

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