Zigeuner
ein Land fahren, in dem wir kein Wort verstehen? Hinter jeder Frau aus Plovdiv steht ein Mann. Glaub mir, hinter jeder.«
Das behaupteten auch die Mitarbeiterinnen von SOLWODI (»Solidarity with women in distress«), einem von der Ordensfrau Lea Ackermann 1985 gegründeten Verein, der sich für Frauen in Not, gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution engagiert. Anders als bei deutschen Prostituierten, die ihr Gewerbe zumeist selbständig ausüben, so die Erfahrung der Leiterin der SOLWODI -Beratungsstelle in Duisburg, Helga Tauch, »ist bei den Roma-Frauen immer ein Mann im Hintergrund aktiv«.
Duisburg ist die Stadt mit der zweitgrößten Bordelldichte Deutschlands. Nach Hamburg. Allein in der Vulkanstraße in Laufhäusern wie dem »Sexxpalace«, im »Eros 26« oder dem »Blue Moon« arbeiten fünfhundert Frauen. In der Flasshoffstraße in Oberhausen sind es zweihundertundfünfzig. Im Jahr 2011 stellten dort Zigeunerinnen aus Rumänien und Bulgarien über sechzig Prozent der Prostituierten. Laut SOLWODI sind diese Frauen vogelfrei. Sie sprechen kein Deutsch, verfügen über keine sozialen Kontakte außerhalb des Milieus und sind Objekte der Ausbeutung auf allen Ebenen. Nicht nur sexuell. Jeder kann sich an ihnen bedienen. Ohne jede Chance, selbst eine Wohnung anzumieten, zahlen sie horrende Mietpreise. Allein in dem Duisburger Stadtteil Hochfeld sollen über 2000 bulgarische Roma in einem schwer zu durchschauenden System aus illegalen Miet- und Untervermietungen leben, in das neben Türken auch deutsche Hartz-IV-Empfänger involviert sind. Zudem kassieren die Betreiber der Bordelle von den Frauen zwischen 100 und 130 Euro für ihr Zimmer. Pro Tag. »Das bedeutet«, so Helga Tauch, »dass eine Frau erst einmal drei, vier Kunden bedienen muss, bevor sie den ersten Euro verdient.« Selbst beim Telefonieren werden die Roma-Frauen abgezockt. Und nicht zu knapp. »Wenn du keinen Einkommensnachweis hast, die Sprache nicht verstehst und deinen eigenen Namen nicht schreiben kannst«, sagt die SOLWODI -Mitarbeiterin Petja Deleva, »dann gehst du in keinen Telefonladen und unterschreibst einen Mobilfunkvertrag mit O 2 oder der Telekom.« Als Streetworkerin in Oberhausen kennt die Bulgarin die Typen, die den Prostituierten gebrauchte Billighandys verkaufen. »Die zeigen dann mit den Fingern an, wie oft die Frauen die Raten von je 50 Euro abstottern müssen. Meistens zehn Finger.«
Der Mangel an Bildung und ihre Herkunft aus den Roma-Ghettos erschwert den Frauen, ihrem Alltagsleben eine feste Struktur zu geben. »Ihnen fehlt das Zeitgefühl«, meint Petja Deleva. »Sie denken nicht in Terminen. Wenn ich mich mit den Frauen verabrede, nenne ich nie ein Datum, sondern immer, wie viele Nächte sie schlafen müssen, bis wir uns wieder treffen.« Andrea Hitzke von der Dortmunder Mitternachtsmission bestätigt diese Erfahrung. »Bei Strafanzeigen und Gerichtsprozessen gegen die Zuhälter ist es für die Frauen oft ein Problem, dass sie Tage, Monate und Jahre nicht unterscheiden können.« Da setzen die Strafverteidiger an. Sie versuchen die Glaubwürdigkeit der Prostituierten zu erschüttern, wenn diese Geschehnisse nicht bestimmten Daten zuordnen können.
Neuerdings verteilt die Sozialarbeiterin Deleva unter den bulgarischen Frauen Handzettel mit den Telefonnummern der SOLWODI -Hilfe. Mit einem nennenswerten Rücklauf rechnet sie nicht. »Wegen der Angst.« Doch anders als im Milieu des einstigen Dortmunder Straßenstrichs ist die Anwendung körperlicher Gewalt durch die Mädchenhändler seltener geworden. »An die Stelle physischer Gewalt ist die psychische getreten«, erklärt Helga Tauch. Verprügelte Frauen mit zerschlagenem Gesicht und mit Brandnarben von glühenden Zigaretten machen sich in den Eros-Etablissements nicht gut. Ein besseres Bild geben Frauen ab, die ihren Zuhälter als ihren Freund oder Verlobten bezeichnen, oder wie in jüngster Zeit üblich als »ihren Manager«.
Über Petja Deleva lernte ich die zweiundzwanzigjährige Dana kennen. Sie stammte aus dem nordbulgarischen Schumen und hatte eine ähnliche Geschichte hinter sich wie Radka Inkova. Genau einen Tag, nachdem sie achtzehn Jahre alt und damit volljährig wurde, reiste sie mit ihrem Freund in die Bundesrepublik. Seitdem hat sich in Danas kindliche Freundlichkeit das Misstrauen eingeschlichen. Denn jener Mann, von dem sie glaubte, dass er sie liebe und heiraten wolle, verkaufte sie in Frankfurt an einen türkischen Bordellbesitzer. Als Petja und Dana
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