Zigeunerprinz
türkischer Teppich aus beigefarbener, goldener und blauer Wolle lag. In die Wand eingelassene Schränke flankierten einen Alkoven an einem Ende, in dem das Bett stand. Die Bettvorhänge hingen an einer vergoldeten, einem riesigen Speer nachgestalteten Stange und waren zu beiden Seiten mit Quastkordeln zurückgebunden. Auf der Matratze lagen eine Nackenrolle und Kissen, die mit beigefarbenem, dunkelblau paspeliertem Leinen überzogen waren, außerdem beigefarbene Decken mit dezentem Monogramm und eine Tagesdecke aus Polarfuchspelz. Alles wirkte ebenso nützlich wie schön und erweckte den Eindruck von Reichtum.
Das Mädchen, das Mara in den Wagen geleitet hatte, entzündete die Lampen, brachte ihr eine Kanne heißen Wassers und legte dann Leinenhandtücher sowie ein Stück nach Sandelholz duftende Seife bereit. Sie erbot sich, Mara als Zofe zu dienen, während Mara sich zum Schlafengehen bereitmachte. Mara ließ sich von ihr aus dem Kleid und dem Korsett helfen und entließ sie dann. Einen Augenblick später bereute sie ihre Eile. Sie hatte kein Nachthemd, nichts, in dem sie schlafen konnte, außer ihrem Unterhemd und den langen Schlüpfern.
Es machte kaum etwas aus. Sie wünschte sich nur noch, allein gelassen zu werden und ihre Augen in der Dunkelheit vor den Fragen, den Nachforschungen und Verdächtigungen zu verschließen. Es war nur bedauerlich, daß sie sich nicht vor ihren eigenen Gedanken verstecken konnte.
Sie hatte die erste Prüfung bestanden. Die Erkenntnis kam nur langsam. Erst nachdem die dahinschleichenden Minuten zu Stunden geworden waren, gestattete sie sich, das zu glauben. Sie war hier bei dem Prinzen im Zigeunerlager und inmitten des Volkes, das ihn als einen der ihren betrachtete. Sie war in seinem Pferdewagen, schlief sogar in seinem Bett. De Landes hatte recht gehabt, anzunehmen, daß sie ihm hier am leichtesten näherkam, weit entfernt von der Stadt, wo er entspannt und friedlich war, wo sich keine Behörden um sie kümmern und nur wenige Zerstreuungen die Aufmerksamkeit des Prinzen von ihr ablenken konnten. Sie hatte, dachte sie, Roderics Neugier geweckt und vielleicht seine Sympathie erregt.
Das reichte nicht, das reichte bei weitem nicht. Es hätte eine Möglichkeit gegeben, mehr zu tun, dessen war sie fast sicher, aber sie hatte sie nicht ergriffen. Ihr Entschluß war ins Wanken gekommen, als sie dem Mann gegenübergestanden hatte. Das durfte nicht noch einmal geschehen, sie konnte das nicht zulassen, um ihrer Großmutter willen. Ach, aber konnte sie sich dazu zwingen, zu lächeln und verführerisch zu sein? Konnte sie den entscheidenden, unwiderruflichen Schritt machen und den Mann in ihr Bett locken ?
Plötzlich warf sie sich in einer heftigen Bewegung auf den Rücken und starrte in die Dunkelheit, die nur vom orangefarbenen, von draußen in den Wagen dringenden Feuerschein erhellt wurde. Sie mußte diesen Schritt wagen. Sie mußte sich dem Prinzen hingeben, mußte ihn überreden, sie mitzunehmen, wenn er nach Paris zurückkehrte. Sie hatte keine andere Wahl. Sie dachte an ihre Großmutter, die in de Landes' Hand war. Fand tatsächlich ein Ball auf seinem Chateau statt, oder war das nur ein Vorwand gewesen? Wurde sie mißhandelt? Mußte sie frieren? Gab man ihr genug zu essen? War das Haus, in dem sie untergebracht war, ein komfortables Landhaus, oder war es ein verfallenes Felsenschloß mit Kerkern, steinernen Zellen, Gittertüren und Stroh auf dem Boden anstelle eines Bettes? War es ein alter Adelssitz, den de Landes in seinem Kontor erbeutet hatte?
Es gab viele solcher Landsitze in Frankreich, die ein dutzendmal seit der Revolution, fast bei jeder Regierungsumbildung, den Besitzer gewechselt hatten. Die reichen Ländereien und mächtigen Schlösser entlang der Loire waren bei den Neureichen jeder Epoche besonders begehrt. Jedes verfallene Landhaus diente als Vorwand, das adlige »de« vor den Namen zu stellen und sich im Glanz des alten Ruhms zu sonnen. Die wenigsten wollten allerdings in diesen Häusern wohnen. Die Verlockungen der Hauptstadt und des Hofes von Louis Philippe waren, so bieder er auch sein mochte, weitaus größer; zudem waren die großen, zugigen Häuser im Winter bitterkalt und ungemütlich. Ein Schauer überlief Mara im Bett des Prinzen. Die Kälte kam jedoch von innen und ließ sich nicht vertreiben, nicht einmal durch die dicke, weiche Pelzdecke. Sie starrte mit brennenden Augen ins Halbdunkel.
Ein Geräusch weckte sie, so leise, daß sie es anfangs nicht
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