Zigeunerprinz
Schulter wurde es langsam kühl, und sie zog die Decke höher, kuschelte sich in die Wärme.
Das graue Tageslicht, das in den Wagen kroch, weckte Mara wieder. Widerwillig hob sie die Lider. Sie versuchte, sich zu räkeln, und unterdrückte einen kleinen Schmerzensschrei. Jeder Muskel tat ihr weh, und ihre Schulter war so steif, daß sie nicht sicher war, ob sie sie würde bewegen können. Nicht die Erinnerung jedoch, sondern ein eigenartiger Kitzel in ihrem Bewußtsein rief ihr wieder ins Gedächtnis, daß sie nicht allein im Bett lag. Sie drehte den Kopf zur Seite und starrte in die Augen des Prinzen.
Er lag auf der Seite und beobachtete sie, den Kopf auf eine Hand gestützt. Die Decke war von seiner Brust gerutscht, so daß sein Oberkörper zu sehen war. Das weiche Licht des Morgens leuchtete bronzefarben auf den deutlich ausgeprägten Muskeln seiner breiten Schultern und ließ die weiche Haarmatte auf seiner Brust golden funkeln. Sein Blick war klar und anerkennend, aber zugleich strahlte er Konzentration und Nachdenklichkeit aus.
Ihr Haar schlängelte sich in dunklen Wogen um ihren Kopf auf dem Kissen. Das exakte Oval ihres Gesichtes errötete langsam in einem feinen, muschelfarbenen Rosa, das sich über ihren elegant geschwungenen Hals bis zu der Wölbung ihres Busens unter dem weiten Kragen ihres Seidenunterhemds ausbreitete. Ihre vor Überraschung geteilten Lippen waren süß modelliert, weich und feucht. Aber ihre Hand auf der Decke war zur Faust geballt, und das fleckige Grau ihrer irischen Augen verdunkelte sich langsam vor Spannung.
Roderic beugte sich zu ihr herüber. Ihre Wimpern schwebten wie seidene Schleier herab, um ihre Augen zu verbergen. Sie machte keine Anstalten, von ihm abzurücken. Es schien unehrenhaft, in diesem Moment seinen Mund auf ihren zu drücken, aber ihn trieb nicht nur reines Verlangen. Der kurze physische Kontakt war eine Prüfung. Er war neugierig, wie sie darauf reagieren würde, ob sie ihn annahm oder ihn von sich stieß.
Mara lag ganz ruhig, mit kühlen Lippen, und doch war ihre Empfindsamkeit so gesteigert, daß sie die Wärme und Seidigkeit, die Festigkeit und den Druck seines Mundes in den tiefsten Tiefen ihres Seins spürte. Ihre Angst wich, wurde von einem fast peinlich wohligen Gefühl abgelöst. Sie bewegte sich um eine Winzigkeit und ließ ihren Mund mit seinem verschmelzen. Der Druck wurde stärker, und sie spürte die leichte Berührung seiner Zunge.
Dennis hatte sie in der Nacht des Balles so geküßt, hatte seine nasse, heiße Zunge in ihren Mund gedrückt. Mit dieser Erinnerung stieg Panik in ihr auf, sie riß den Mund weg und hob die Hand, um Roderics Schulter wegzudrücken.
Er gab sie augenblicklich frei, aber er blieb neben ihr liegen und musterte sie weiter: die verfärbte Stelle auf ihrer Schulter, wo der Verband in der Nacht verrutscht war; die dunklen Schatten unter ihren Augen; die feine, transparente Haut, die nun unter einer Emotion erglühte, über deren Ursprung er nur Vermutungen anstellen konnte. Sie war ein wunderschönes Enigma, diese Frau, die mitten in der Nacht zu ihnen gestoßen war. Er witterte ein Geheimnis, mehr als nur eine Dame in Nöten, die vergessen hatte, wer sie war.
Die Ränke und Intrigen der Höfe und politischen Parteien in halb Europa waren ihm vertraut wie seine eigenen Gedanken. Er hatte einen Instinkt für die Gefahr entwickelt, dem zu vertrauen er gelernt hatte. Er wußte, daß es das Beste wäre, sie den Zigeunern zu überlassen. Und doch begannen ihn ihre schüchternen Annäherungsversuche und ihre hastigen Rückzüge zu faszinieren. Etwas in ihren Augen irritierte ihn, erinnerte ihn an ein Reh, das von den Jagdhunden in die Enge getrieben worden war.
»Vergeben Sie mir«, sagte er. Seine Worte kamen unvermittelt. »Es war falsch von mir, Ihre Verletzung auszunutzen.«
Wie viel leichter wäre es, wenn er die Situation einfach ganz und gar ausnutzen würde, dann wäre die Sache ein- für allemal vorbei. Ein verzweifeltes Lächeln zuckte bei diesem Gedanken um Maras Mund und verschwand dann wieder. »Ich nehme an, Sie sind es gewöhnt - neben einer Frau aufzuwachen.«
»Nicht neben einer, die keinen Namen hat, weder einen professionellen noch sonst einen.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt -«
»Ich entsinne mich nur zu genau. Das stellt ein Problem dar, nicht wahr? Ich könnte mit den Fingern schnippen oder pfeifen, wenn ich Ihre Aufmerksamkeit erheischen möchte, aber das erscheint mir ungehörig. Jede neue Seele
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