Zigeunerprinz
braucht einen Namen, und wie ein gestern erst geborenes Kind haben Sie die Gelegenheit, sich an diesem Morgen neu taufen, neu erschaffen zu lassen. Wie also wollen Sie genannt werden? Chere ist zu gewöhnlich und chere amie etwas verfrüht.«
»Ja.« Sie sah ihn wütend und ängstlich zugleich an. Sie war nicht seine Geliebte, seine chere amie, noch nicht, und obwohl sie ahnte, daß er sie mit diesen Worten necken, daß er damit die Spannung zwischen ihnen mindern wollte, konnte sie nicht sicher sein, daß er ihr Vorhaben nicht erahnt hatte. Man hatte sie vor seinem Scharfsinn gewarnt.
»Wollen Sie also Claire oder Caroline sein, Candance oder Chloe? Nicht jedermann hat die Wahl.«
Sie hatte das starke Bedürfnis, ihren eigenen Namen zu nennen. Doch diese Geste konnte sie sich nicht leisten.«Ich weiß nicht. Nennen Sie mich, wie Sie wollen.«
»Sie führen mich in Versuchung. Soll ich Sie Circe nennen wie die heidnische Hexe, die Männer in Schweine verzauberte? Daphne, die sich um der Liebe willen in einen Lorbeerbaum verwandelte? Oder vielleicht nach der schönen und treulosen Helena?«
»Nichts so Klassisches, hoffe ich. Aber brauchen Sie wirklich einen Namen? Vielleicht erinnere ich mich bald an meinen eigenen.«
»Vielleicht auch nicht.«
Wie verabscheuenswert diese Falschheit war. Sie senkte die Lider.«Dann ist es wohl das Beste, mich Chere zu nennen, so gewöhnlich das auch klingen mag.«
»Wie es Ihnen gefällt. Haben Sie Hunger?«
»Keinen großen.«
»Dabei haben Sie gestern abend nichts gegessen, es sei denn, bevor Sie zu uns gestoßen sind. Haben Sie Fieber?«
Er streckte seine Hand aus und legte sie auf ihre Stirn. Nur mit äußerster Willenskraft konnte sie sich zwingen, ruhig liegen zu bleiben. »Ich glaube nicht.«
»Nein«, stimmte er zu und hob die Hand wieder. »Womit also werden wir Ihren Appetit locken können? Mit Lerchenzungen? Den Heuschrecken des Mittelmeeres und dem Wein des Bacchus, der die Tore des Herzens öffnet?«
»Nein«, antwortete sie schaudernd.
»Möchten Sie dann vielleicht etwas Brot und Schokolade mit Ziegenmilch probieren?«
Wenn er ihr auf diese Weise das einfache Mahl hatte schmackhaft machen wollen, war ihm das gelungen. Auf ihr Nicken hin lächelte er, glitt mit geschmeidiger Eleganz aus dem Bett und begann sich anzukleiden. Mara starrte wie gebannt auf ihre Hände. Sie war sich der heißen Röte in ihrem Antlitz nur zu bewußt. Er war vollkommen nackt gewesen. Sie hatte das bereits vermutet, aber es zu wissen war etwas anderes. Eine Nacht lang hatte dieser starke, vitale und kräftige, von der mächtigen Aura seines Adelstitels umgebene Mann mit ihr ein Bett geteilt und sie dennoch unberührt gelassen. Es war enttäuschend. Und es war der Quell zwiefacher Schuld. Sie hätte etwas tun müssen, um ihn zu erregen. Aber war es nicht grausam, einen Mann, der so bedacht in seinem Umgang mit Frauen war, so auszunutzen, wie sie es tun mußte?
Die Niedergeschlagenheit, die seine Zurückhaltung in ihr ausgelöst hatte, blieb, nachdem er den Wagen verlassen hatte. Sie versuchte sich einzureden, daß er sie begehrt hatte; sie hatte ihn am frühen Morgen abwehren müssen, oder etwa nicht? Aber er hatte ihrem Widerstand so schnell nachgegeben. Von einem Mann, der bestimmt gewohnt war, seinen Willen zu bekommen, hätte sie zumindest einen Überredungsversuch erwartet, einen Wutausbruch oder eine Schimpftirade. Solche Reaktionen zeugten wenigstens von verletztem Stolz. Vielleicht war er ja einfach so konsequent, daß er sich nicht vorstellen konnte, daß sich ihm eine Frau verweigerte, es sei denn, sie hatte wirklich außergewöhnliche Gründe.
Sie lächelte ein wenig über diesen Gedanken. Nein, wahrscheinlich war er nur einem vorübergehenden Impuls gefolgt, weil sie gerade zur Hand gewesen war. Seine Begierde war nur ein kurzfristiges Aufflackern gewesen, deshalb hatte ihn ihre Weigerung nicht erbost. Das war alles. Sie hatte die Chance, die ihr das Schicksal in den Schoß gelegt hatte, nicht genutzt, und es war unwahrscheinlich, daß sie wiederkommen würde. Der Tag war kalt und regnerisch. Mara verzehrte ihr Brot und ihre Schokolade im Bett. Beides wurde ihr von dem Mädchen gebracht, das ihr am Abend zuvor als Zofe gedient hatte. Während sie aß, brachte das Mädchen Nadel und Faden und besserte Maras Kleid notdürftig aus. Die Näharbeiten zeugten von wenig Erfahrung, aber das Ergebnis war annehmbar und die Geste großzügig gewesen. Ihr warmherziger Dank ließ
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