Zikadenkönigin
Modellisten, war ein selbständiger Zweig der Former-Partei.
Die Modellisten waren auf zerebrale Asymmetrie spezialisiert. Mit extrem erweiterten rechten Hirnhälften waren sie äußerst intuitiv, dachten in Metaphern und Bildern und machten plötzliche Erkenntnissprünge. Ihr Erfindergeist und ihre schnellen, nicht voraussehbaren Reaktionen hatten ihnen zunächst einen Vorsprung im Wettkampf verschafft. Doch diese Vorteile wurden von großen Schwächen begleitet: Autismus, Fugue und Paranoia. Modellierte Gehirne gerieten leicht außer Kontrolle und verfingen sich in grotesken Phantasien.
An diesen Schwierigkeiten war die Kolonie zugrunde gegangen. Die Industrie der Modellisten ging unter und wurde von ihren wirtschaftlichen Konkurrenten überrannt. Der Wettbewerb war viel schärfer geworden. Die Former- und Mechanisiererkartelle hatten geschäftliche Aktivitäten in eine Art endemische Kriegsführung verwandelt. Der Wurf der Modellisten war ins Leere gegangen, und es kam der Tag, an dem ihnen die Regal-Plutokraten ihren Wohnkluster unter dem Hintern wegkauften. In gewisser Weise war das sogar ein Akt der Barmherzigkeit, denn die Regals waren höflich und stolz auf ihre Fähigkeit, Flüchtlinge und Versager zu assimilieren.
Die Regals hatten selbst als Dissidenten und Deserteure begonnen. Ihre posthumanistische Philosophie hatte ihnen die moralische Macht und die unerschütterliche Selbstsicherheit verliehen, alle Parteien aus den Randbereichen der Menschheit zu dominieren und zu absorbieren. Und sie genossen die Unterstützung der Investierer, die über ungeheuren Reichtum und die geheimen Techniken des Sternenantriebs verfügten.
Das Radar der Raupe machte Mirasol auf das Landfahrzeug eines Konkurrenten aufmerksam. Sie beugte sich in ihrem Pilotensitz vor und holte das Bild des Fahrzeuges auf den Schirm. Es war eine plumpe Kugel, die unsicher auf vier langen, spindeldürren Beinen balancierte. Sie hob sich als Silhouette vor dem Horizont ab und wackelte rasch auf dem gegenüberliegenden Kraterrand entlang, um schließlich hinter der Kuppe zu verschwinden.
Mirasol fragte sich, ob sie betrügen wollten. Sie war selbst in Versuchung, ihre Chancen mit einem kleinen Trick zu verbessern – sie könnte ein paar tiefgefrorene Pakete aerobischer Bakterien oder ein paar Dutzend Insekteneier den Hang hinunterwerfen. Aber sie fürchtete die Überwachungsanlage der T-K-Richter. Es stand zuviel auf dem Spiel: nicht nur ihre eigene Karriere, sondern das Schicksal ihrer ganzen Partei, die bankrott und verzweifelt im kalten Erlösungslager hockte. Angeblich wollte der Herrscher von T-K, das posthumane Wesen mit Namen Lobster-King, höchstpersönlich den Wettbewerb überwachen. Unter seinen schwarzen, unparteiischen Augen zu betrügen, wäre schrecklich.
Auf dem Außenhang des Kraters und etwas unter ihr tauchte ein zweiter Konkurrent auf, der sich holpernd und mit irrwitziger, aggressiver Anmut näherte. Der lange, schmale Körper des Fahrzeuges ringelte sich seitwärts wie eine Klapperschlange und reckte einen wuchtigen, glänzenden Kopf hoch, der an eine facettierte Spiegelkugel erinnerte.
Die beiden Rivalen näherten sich dem Startpunkt, wo die sechs Bewerber vom Regal-Wettkampfleiter ihre letzten Instruktionen erhalten würden. Mirasol eilte weiter.
Als das Camp auf ihrem Bildschirm auftauchte, war Mirasol schockiert. Der riesige Platz war absurd geschmückt: ein Drogentraum aus schillernden Kuppeln und bunten Minaretten, die sich in der flechtenüberzogenen Wüste erhoben wie bizarre Kerzenleuchter. Das Camp paßte zu den Regals.
Hier würden die Schiedsrichter und Fachleute der Biokünste leben und den Krater beurteilen, in dem die neu eingebrachten Ökosysteme miteinander um die Vorherrschaft kämpften.
Die Luftschleusen des Camps waren von glänzenden grünen Flechtendickichten umgeben, die von entwichener Feuchtigkeit lebten. Mirasol lenkte ihre Raupe durch die gähnende Luftschleuse in die Garage. Im Innern der Garage säuberten und polierten Robot-Mechaniker das aufgerollte, hundert Meter lange Schlangenfahrzeug und den schwarzen Bauch eines achtbeinigen Geländewagens. Der schwarze Geländewagen hatte den auf einem Periskop sitzenden Kopf eingezogen, als wollte er gleich losspringen. Der dicke Bauch war mit einem roten Stundenglas und den Firmenabzeichen seiner Partei gekennzeichnet.
Die Gerüche von Staub und Schmieröl, vermischt mit Blumendüften, erfüllten die Garage. Mirasol überließ die
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