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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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versucht, nachts hinauszuschleichen, ein paar Priestern aufzulauern und sie zu verprügeln, einfach um seinen zerstörerischen Impulsen eine gesunde Richtung zu geben, aber er wartete ab. Es war kein leichter Auftrag. In seiner Ausbildung war er durch Drogen an halbpsychotische Zustände gewöhnt worden, und wenn er seine implantierten schizophrenischen Waffen vorzeitig benutzte, konnte er das Paradigma dieses Ortes sogar verstärken. Statt dessen begann er einen Angriff auf den Millionärsbunker zu planen. Wahrscheinlich war das Arsenal der Predator Saints noch zum größten Teil intakt: Kulturen von Krankheitserregern, chemische Waffen, vielleicht sogar ein oder zwei Atomsprengköpfe. Je länger er darüber nachdachte, desto stärker wurde seine Versuchung, die ganze Kolonie in die Luft zu jagen. Das würde ihm eine Menge Ärger ersparen.
    In der nächsten Vollmondnacht durfte er an einem Opfer teilnehmen. Die Regenzeit stand bevor, und man mußte die Regengötter mit dem Tod von vier Kindern besänftigen. Die Kinder wurden mit Pilzen in einen Drogenrausch versetzt, mit Schmuck aus Feuerstein und Jade behängt und in reich bestickte Roben gehüllt. Man blies ihnen Pfeffer in die Augen, um die dem Regenzauber angemessenen Tränen hervorzubringen, und eskortierte sie zum Rande des Katafalks. Trommeln und Flöten und ein Wechselgesang mischten sich mit dem Licht von Mond und Fackeln zu einer äußerst hypnotischen Stimmung, in welcher sich die Gläubigen bewegten. Die Luft roch nach Kopal-Räucherstäbchen, und der Geruch erschien den geschärften Sinnen des Spitzels dick wie alter Käse. Er ließ sich von der Menge aufsaugen, und es fühlte sich wundervoll an. Es war seit langer Zeit das erste Mal, daß ihm etwas wirklich Spaß machte.
    Eine hochrangige Priesterin, die zahllose Armringe und einen hohen, federbesetzten Kopfputz trug, schritt langsam an der vordersten Reihe der Menge entlang und verteilte mit einer großen Kelle fermentierte Pulque aus einem Krug. Der Spitzel schob sich nach vorn, um seinen Anteil zu bekommen.
    Die Priesterin kam ihm seltsam vor. Zuerst dachte er, sie wäre nur durch psychedelische Drogen abgedreht, doch ihre Augen waren völlig klar. Sie bot ihm die Kelle an, und als er ihre Fingerspitzen berührte, blickte sie ihm ins Gesicht und kreischte. Plötzlich wußte er, was nicht stimmte. »Eugenia«, keuchte er. Auch sie war Spionin.
    Sie ging auf ihn los. An den Nahkampftechniken der Spione war nichts Elegantes. Die klassischen Kampfkünste, deren Hauptakzent auf Gelassenheit und Kontrolle lag, kamen für nur halb bewußte Agenten sowieso nicht in Frage. Statt dessen übernahmen tief verwurzelte Konditionierungen die Kontrolle und verwandelten sie in kreischende, krallende, von Adrenalin aufgeputschte Irre, die für Schmerzen unempfindlich waren.
    Der Spitzel bekam hysterische Mordgelüste. Widerstand zu leisten und zu kämpfen bedeutete seinen sicheren Tod; seine einzige Hoffnung war es, in der Menge zu verschwinden. Doch als er den Angriff der Frau abwehrte, hatten ihn schon kräftige Hände gepackt. Er machte sich knurrend frei, sprang rückwärts auf den breiten Rand des heiligen Brunnens, wandte sich um und machte Bestandsaufnahme: Fackeln, gräßliche Angst, ein irres Gesicht, die Federhelme näherkommender Krieger, das Knattern automatischer Gewehre, keine Zeit für rationale Entscheidungen. Also reine Intuition. Er drehte sich um und warf sich mit dem Kopf voran in die breite, feuchte, dunkle Öffnung des heiligen Brunnens.
    Das Wasser traf ihn wie ein Schock. Er trieb auf dem Rücken und rieb sich das Gesicht, das vom Aufprall brannte. Im Wasser trieben lange Algenfäden. Ein Fisch knabberte unter seinem Baumwollumhang an seinem nackten Bein. Er wußte sehr genau, was das Tier fraß. Er betrachtete die Brunnenwände. Keine Hoffnung – sie waren glatt wie Glas, so glatt, als wären sie mit Laserstrahlen geschnitten oder mit einer Brandbombe geschmolzen worden.
    Die Zeit verging. Eine weiße Gestalt stürzte herab und klatschte flach mit dem Bauch aufs Wasser. Das geopferte Kind war sofort tot.
    Etwas packte seinen Fuß und zog ihn unter Wasser.
    Wasser drang in seine Nase. Er war zu sehr mit Husten beschäftigt, um sich freizukämpfen. Er wurde in die Dunkelheit hinabgezogen. Wasser drang in seine Lungen, und er verlor das Bewußtsein.
     
    Der Spitzel erwachte in einem Korsett und blickte zu einer beigen, keimfreien, weißen Decke hinauf. Er lag in einem Krankenhausbett. Er

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