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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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bengalischer Herkunft ist jung und bildschön und trägt ein Kleid mit traditionellem Muster. Sie spricht fließend Englisch.
    Ihr Gepäck besteht aus zwei Taschen. Während eine davon die üblichen Reiseutensilien enthält, ist die andere gefüllt mit Dutzenden kleiner Objekte, die wie Splitterstücke einer Skulptur anmuten, mit einem besonderen Muster auf einer Seite. Je mehr Städte und Länder sie besucht, desto leichter wird diese Tasche.
    Würde ihr jemand folgen und ihren gesamten Reiseweg auf einer Weltkarte einzeichnen, würde dieser Person gewiss eines auffallen – die verwunderliche Ähnlichkeit der Route zu dem Netz einer Spinne …

    ENDE DER EPISODE

    - - - - - - -

Nr. 32 -

Zelluloid

1
    1. Filmrolle, 1. Szene (in einer Weberei)
    Der schmächtige junge Mann hatte die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Er wirkte verloren vor der zehn Meter breiten Maschine, zu der seine Blicke immer wieder hinüberzuckten. Wenn er in die Super-8-Kamera sah, ähnelte seine Miene der eines verunsicherten Tieres, eines Hundes vielleicht, der immer Schläge aus der Richtung erwartete, in die er gerade nicht blickte. Die hohe Stirn bedeckte ein Ausschlag, wie ihn Jugendliche in der Pubertät haben, doch für Akne war er entschieden zu alt. Ende zwanzig vielleicht. Sein schüchternes Lächeln entblößte lange, schlechte Zähne.
    Er sagte etwas, was im Lärm der ratternden Spulen unterging. Für einen Moment starrte er neben die Kamera, als befinde sich dort jemand, der ihm Anweisungen gab. Dann wiederholte er, was er eben gesagt hatte, diesmal mit lauter, überschnappender Stimme. Trotzdem verschluckte die Kreuzspulmaschine noch immer Teile seiner Ausführungen.
    „… Traum ist, ich geh aufs Land und versorg mich selbst. Wenn ich erst einmal genug Geld … Konto hab, kauf ich mir ein kleines Feld irgendwo in … bau ich dort Gemüse an und Obst, Kartoffeln, Äpfel, Rettiche, … Salat.“ Er wandte sich um, kontrollierte mit einem schuldbewussten Einziehen des Kopfes die Einstellungen, und als er sich wieder zur Kamera hin drehte, schien er vergessen zu haben, was er eben gesagt hatte. „Ich geh aufs Land. Pflanz Gemüse!“, brüllte er gegen das Rasseln und Sirren an. Die Apparatur schien lauter zu werden, als wäre sie eifersüchtig auf die Kamera, die die Aufmerksamkeit des Arbeiters für Sekunden auf sich zog. „… Besitz der Produktionsmittel bin ich selber … ist auch gesünder und … heiraten und viele Kinder kriegen, die ohne Lärm und Gestank aufwachsen.“
    Die Kamera entfernte sich von ihm und begann damit, die Maschine von einem Ende zum anderen abzufilmen. Schritt für Schritt bewegte sich der Kameramann im Krebsgang von Spule zu Spule und hielt die flirrenden Fäden fest, die zu Dutzenden über die Führungen liefen. Die Maschine spuckte das Garn aus und verschluckte es wieder, und es war beinahe wie ein Verdauungsvorgang. Das Mikrofon verwandelte die komplexe Geräuschkulisse in ein einziges bestialisches Rauschen. Am Ende angekommen, schwenkte das Objektiv durch die Halle und fing weitere Maschinen ein, manche so hoch wie ein kleines Häuschen. Der Raum war eine Stadt für sich, eine Stadt, in der die Maschinen das Sagen hatten und wohlwollend gestatteten, dass winzige, müde Menschen an Knöpfen drehten.
    „Wir sehn uns dann!“, schrie der junge Mann heiser in die Kamera, als sie ihn zum Schluss erneut fand. Seine Haare wehten in der künstlichen Brise der Ventilatoren. „Wir sehn uns!“
    „Können Sie die Maschine abschalten?“, rief eine Stimme, die wohl dem Kameramann gehören musste.
    „Bitte? Ich hab nicht verstanden.“
    „Abschalten! Die Maschine anhalten! Nur ganz kurz. Für uns. Eine Minute.“
    Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, das ist unmöglich. Das kann ich nicht.“
    Die Kamera fixierte den dicken gelben Knopf am linken Ende der Apparatur, dort, wo in einem blauen Metallkasten der Motor brummte. Der Knopf glänzte wie neu, war überhaupt nicht abgegriffen.
    „Nein, das geht nicht!“, bekräftigte der Arbeiter noch einmal.
    „Warum nicht?“
    Der Kameramann näherte sich langsam dem Knopf. Es war kein Einzoomen, er ging tatsächlich auf die Maschine zu. Seine Hand reckte sich nach vorne, die Rechte. Mit der Linken hielt er weiterhin die Kamera. Saubere, kurz geschnittene Fingernägel, feine Klavierspieler-Finger tasteten nach dem Metallknopf.
    Da machte das Bild plötzlich einen Satz, wischte über die Decke der gewaltigen Halle. Ausschnitte vom Körper des

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