Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid
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Steffens Kontrahent hatte genug. Der Bach, der aus seinem Mundwinkel rann, wurde zu einem Fluss und zog einen langen Faden. Wenn er ausatmete, flogen Blasen über den Tisch. Die Augen hatten zu schielen begonnen, und jedes Mal, wenn der Korpulente einen Schluck aus dem schweren Bierseidel nahm, machte sein Bauch gluckernde Geräusche, und der Pegel seines Mageninhalts schien permanent in der Höhe des Halses zu liegen. Er stieß ein brodelndes Japsen aus und hielt sich den Unterleib. Vermutlich war seine Blase voll und schmerzte, doch bis zur Toilette würde er es nicht mehr schaffen. Ihm behilflich zu sein, wäre ein Regelverstoß gewesen und hätte ihn um den Sieg bringen können.
„Ihr … Landburschn … seid nix g‘wöhnt“, lallte Steffen, der kaum glauben konnte, dass er noch im Rennen war. Dreimal setzte er an, um das Wort „Schlappschwanz“ auszusprechen, aber er bekam es nicht mehr auf die Reihe.
Sein Gegenüber schien es trotzdem verstanden zu haben. Er leerte sein Bier und setzte den Krug energisch neben den Tisch. Das Steingefäß zersplitterte auf den Boden.
Mit säuerlichem Gesicht schlurfte die Bedienung heran und sammelte mit der Kehrschaufel die Scherben. Während sie das tat, unternahm der Dicke einen Versuch aufzustehen. Er stützte sich auf dem Tisch auf, wuchtete sich nach oben, kam mit wackelnden Knien auf die Beine, schwankte vor und zurück. Seine Hose blieb am Stuhl hängen, deshalb zog die Bedienung diesen ein Stück zur Seite, während sie in gehockter Haltung weiter die Scherben zusammenkehrte.
Der Körper des Mannes kam aus dem Gleichgewicht, als er sich vom Tisch zu lösen versuchte, er taumelte zurück, entschied sich offenbar, sich doch wieder zu setzen. Doch wo er den Stuhl vermutete, war nun keiner mehr. Er kippte ins Leere, drehte sich im Fallen und stürzte auf die Bedienung hinab. Die Frau lag schreiend auf den Scherben des Bierkrugs, ihre Beine unter dem Drei-Zentner-Mann begraben.
Der Wirt kam herbeigeeilt und hievte das Schwergewicht zur Seite. Der Auswärtige, der Steffen angefeuert hatte, half ihn dabei.
Der Mann mit der Super-8-Kamera lichtete das Geschehen ab, bis der Wirt seine Faust schüttelte und ihm drohte, ihn hinauszuwerfen, wenn er nicht endlich damit aufhörte.
3
2. Filmrolle, 1. Szene (auf einem Gemüseacker)
Die Aufnahme setzte ein, als der Motor des Traktors gurgelnd erstarb. Das Quietschen, als die Handbremse angezogen wurde, erinnerte an den Todesschrei eines riesigen Tieres, eines Sauriers vielleicht.
Ein kräftiger Mann mit Igelfrisur sprang von dem Sitz des Fahrzeugs herab in den Nebel, der von den Auspuffgasen herrührte und sich in der Windstille nur langsam verzog. Aus kleinen Augen blickte der Mann prüfend in die Kamera. Sein Mund stand ein wenig offen, und seine Hände spielten an den seitlichen Säumen der schmutzigen Hose herum. „Und?“, fragte er, nachdem er lange darauf gewartet hatte, angesprochen zu werden. „Was jetzt?“
Noch ein paar Sekunden vergingen, dann erklang eine Stimme: „Sind Sie glücklich?“
Der Landwirt zog die Augenbrauen herab. „Was soll das heißen?“
Anstelle einer Antwort machte der Kameramann einen langen Schwenk über die Felder. Hunderte, Tausende von Salatköpfen standen Spalier, warteten nur darauf, geerntet zu werden. Die Luft war klar, die Sicht gut, und man konnte die hohen Nadelbäume auf den das Tal umschließenden Hängen deutlich erkennen. Einige schwarze Vögel flatterten über dem Feld, und in der Ferne war ein Bussard zu sehen, der am Himmel seine Kreise zog.
„Manche Leute würden sagen, dass dies eine Idylle ist“, meinte der Mann hinter der Kamera.
Auch diesmal schien der Gefilmte nichts mit dem Stichwort anfangen zu können. Er starrte weiter ins Objektiv, verständnislos.
„Sie sind unabhängig, versorgen sich selbst“, lautete das nächste Stichwort.
Keine Reaktion.
„Lieben Sie das Land?“ Ein verzweifelter Versuch.
Und dann, gänzlich unerwartet, eine fast schon scharfsinnige Gegenfrage von dem Landwirt: „Lieben Sie Ihre Kamera?“
„Vergessen Sie’s“, sagte der Filmemacher und schaltete die Kamera ab.
4
2. Filmrolle, 2. Szene (in einer Gaststätte)
Perfekte Bilder von einer Schlägerei. Nahaufnahmen von hassverzerrten Gesichtern, prügelnden Fäusten, fliegenden Gläsern und Flaschen. Wie in den besten Inszenierungen, nur, dass dies real war. Ein paar geschickte Worte von den Männern, einige kokette Blicke von der jungen Frau, eine Handvoll
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