Zimmer Nr. 10
Buch zu, stellte es zurück ins Regal und setzte sich wieder auf seinen Stuhl. »Das kommt vor.«
»So war es damals auch«, sagte Winter.
»Wie?«
»Es gab keine Erklärung.«
»Für was?«
»Ich erinnere mich nicht an das Wort«, antwortete Winter. »Gib mir eine Minute.«
»Ich meine nicht das Wort«, sagte Birgersson.
»Ich krieg den Fall einfach nicht aus dem Schädel, Sture. Den von Ellen Börges Verschwinden.«
»Damit musst du wohl für den Rest deiner Karriere leben.«
Winter schwieg.
»Ja, ja, die Karriere«, wiederholte Birgersson, nahm einen neuen Zahnstocher, betrachtete ihn nachdenklich, ehe er ihn in den Mund steckte, und schaute Winter über den Tisch an. »Im nächsten Herbst hab ich sie hinter mir.«
»Da kann man nur gratulieren«, sagte Winter.
»Ja, nicht wahr?« Birgersson beugte sich über die Fotografien, die sie auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatten. Auf einem Aktenbock lagen noch mehr. Fotos von Mutter und Tochter.
Birgersson hatte die beiden Gesichter nebeneinander gelegt. Sie waren ungefähr aus dem gleichen Blickwinkel, Abstand, mit der gleichen Beleuchtung aufgenommen. Die gleiche Stille. Auf ihre Art die gleichen Gesichter. Birgersson betrachtete sie schweigend.
»Wem sieht sie ähnlicher, Erik?« Er hob den Blick. »Dem Vater oder der Mutter? Ich kann hier keine direkte Ähnlichkeit entdecken.«
»Warum fragst du?«
»Mir ist plötzlich bewusst geworden, dass ich kaum Fotos von dieser Familie gesehen habe.«
»Es gibt ja auch fast keine«, sagte Winter.
»Was will der mit … den weißen Trophäen?« Birgersson schaute auf die Bilder und hatte doch andere Bilder vor Augen. »Es hat den Anschein, als würde er etwas sammeln. Obwohl er … nichts mitnimmt.«
»Vielleicht hat das was mit Besitzansprüchen zu tun«, sagte Winter.
»Als hätte er ein Anrecht auf sie? Die Hand? Den Finger?«
Winter nickte. »Er war der Ansicht, er habe ein Recht an allem, was sie betraf. Er konnte sich nehmen, was er wollte. Und zurücklassen, was er wollte.« Winters Blick fiel auf die Fotos. »Machen, was er wollte.«
»Und die Gipshand?«
»Eine Bekräftigung«, sagte Winter.
»Von was?«
»Dem, was ich eben gesagt habe.«
Nina Lorrinder rief Halders am frühen Nachmittag an. Er schaute auf die Uhr, als er nach dem Hörer griff. Halb drei, und draußen wurde es schon dunkel. In zwei Stunden müsste er Hannes zum Hallenbandy fahren. Der Junge hatte sich für das ruhigere Bandy und gegen das aggressive Eishockey entschieden. Halders hatte früher Hockey gespielt. Hannes kommt nach Margareta, hatte er gedacht, als Hannes verkündete, was er im Herbst tun wollte. Das ist gut.
»Fahndungsdezernat, Halders.«
»Ja … hallo, hier ist Nina Lorrinder.«
»Hallo, Frau Lorrinder.«
»Ja … Da wär was …«
Halders setzte sich gerade hin und griff nach einem Stift.
»Erzählen Sie.«
»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll … aber als ich an dem Haus vorbeiging, in dem Paula gewohnt hat … ich war auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle … da hab ich unten vorm Haus jemanden im Gebüsch stehen sehen. Beim Spielplatz gegenüber.«
»Ich kenne die Örtlichkeit. Wen haben Sie gesehen?«
»Ich weiß nicht, ob es etwas bedeutet. Vielleicht war es dumm von mir, Sie anzurufen. Aber das war … er. Es wurde schon dunkel, aber genau dort ist eine Straßenlaterne, und er drehte den Kopf, als ich vorbeiging, und da hab ich gesehen, dass er es war.«
»Er? Wer war es?«
»Der, den Paula im Fitnessstudio getroffen hat.«
»Sind Sie ganz sicher?«
»Ja.«
»Was hat er gemacht?«
»Er stand bloß da. Er starrte auf das Haus, hoch zu den Fenstern.«
»Dann hat er den Kopf gedreht, sagen Sie?«
»Ja. Wahrscheinlich hat er mich gehört.«
»Hat er Sie bemerkt?«
»Wahrscheinlich. Aber ich glaube nicht, dass er mich erkannt hat. Es war ja ziemlich dunkel und regnete auch ein bisschen. Ich hatte was auf dem Kopf.« Halders hörte, wie sie schluckte. »Und dann wandte er sich wieder ab.«
»Wann war das?«, fragte Halders.
»Vorgestern, gegen halb fünf.«
»Warum haben Sie nicht sofort angerufen?«
»Ich … ich weiß nicht. Zuerst war ich sicher, dass er es war. Und dann … Ich weiß nicht.«
»Hatten Sie Angst?«
»Ja.«
»Wovor?«
»Dass er mich erkannt haben könnte.« Halders hörte sie atmen. »Dass er … Ich weiß es nicht …«
»Um so wichtiger wäre es gewesen, mich sofort anzurufen. Wenn Sie annehmen mussten, er würde Sie suchen.«
»Ja … Ich
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