Zimmer Nr. 10
Bild standen Christer und Ellen Börge zusammen unter einem Baum. Das Foto war in einer Stadt aufgenommen worden. Die Häuser kamen ihm bekannt vor. Vielleicht war es hier im Hof.
Auf dem dritten Foto lächelte Ellen mit einem anderen Mädchen um die Wette. Die Mädchen mochten beide um die fünfzehn sein, vielleicht etwas älter.
»Wer ist das da?« Winter deutete auf das Foto.
»Was?« Börge drehte den Kopf, und Winter wurde klar, dass der Mann betrunkener war, als er geglaubt hatte. Die Flasche auf dem Tisch war nicht die erste. Er musste getrunken haben, bevor er zum Schnapsladen gegangen war, falls er nicht in den zwanzig Minuten vor Winters Auftauchen einen ganzen Liter gelenzt hatte. Möglich war das auch.
»Wer ist das Mädchen neben Ellen auf diesem Foto?«
Die Mädchen waren von dichtem Gebüsch umgeben, schienen in einer Laube zu stehen. Sie hielten sich umschlungen, vier Arme, vier Hände. Es war Sommer, ihre Kleider waren dünn. Am Rand des Bildes schimmerte etwas. Ein Stück Himmel, oder Wasser, ein See, Meer.
Börge fixierte das Foto. Er schwankte wieder, hielt sich jedoch aufrecht. »Das ist Ellens Schwester.«
»Ach?«
Jetzt starrte Börge Winter an, blinzelte. Seine Sprache dehnte sich noch mehr, aber er lallte nicht. »Haben Sie nicht mit ihr gesprochen, als Ellen … verschwand?«
»Das war nicht ich, sondern einer von meinen Kollegen. Aber ich wusste von ihr.« Winter warf noch einen Blick auf das Mädchen. »Ellen ist nie bei ihr aufgetaucht. Jemand von uns ist runtergefahren und hat mit ihr gesprochen, in Malmö, glaube ich. Sie wohnte damals in Malmö.«
»Ich hab sie nicht mehr getroffen seit … damals.« Börge zeigte auf die Fotografie.
»Warum nicht?«
»Ich glaube, sie mag mich nicht. Ich weiß, dass sie mich nicht mag.« Er nickte wie zur Bestätigung. »Sie glaubt, ich bin an allem schuld.«
»Trotzdem haben Sie hier ein Foto von ihr hingestellt.«
»Nicht ihretwegen.« Börge fuchtelte mit der Hand. »Wegen Ellen natürlich!« Er trat einen Schritt näher heran. »Sie wirkt glücklich auf dem Bild, finden Sie nicht? Ich hab es erst vor einigen Monaten entdeckt«, sagte er. »Hab ein paar Sachen durchgesehen, und dazwischen lag es.«
»Haben Sie noch mehr gefunden?«
»Was denn?«
»Fotos von Ellen? Erinnerungsstücke.«
»Nein, nein, nichts.«
Winter starrte auf die beiden Mädchen. Da bestand eine Ähnlichkeit. Etwas mit den Augen oder den Haaren. Der Körperhaltung. Beide waren groß, schlank, der Körperbau noch etwas eckig, das würde sich mit der Zeit verlieren.
»Sie sind ja nur Halbschwestern, wie Sie bestimmt wissen«, sagte Börge.
Winter nickte.
»Hab sie nie mehr getroffen«, murmelte Börge. »Aber das hab ich wohl schon gesagt.«
»Wo wohnt sie?«
»Keine Ahnung.«
»Mir fällt ihr Name gerade nicht ein«, sagte Winter.
»Eva«, sagte Börge. »So nannte sie sich jedenfalls damals.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie benutzte verschiedene Namen«, sagte Börge.
»Warum?«
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?« Börge löste sich vom Regal und wankte auf das Sofa zu. »Da müssen Sie sie schon selber fragen.«
Die Morgenbesprechung begann mit einer stillen Minute. Das hatte keinen besonderen Grund, sondern war eher eine Sache der Konzentration. Dann klingelte Halders’ Handy. Winter hatte gerade mit seinem Bericht begonnen.
»Hmh?« Das war Halders’ Art, sich zu melden. »Ja? Ja, das bin ich.« Er stand auf, trat auf den Flur hinaus und schloss die Tür hinter sich.
»Sind wir schon die ganze Liste durchgegangen, die du bekommen hast?«, fragte Aneta Djanali.
»Noch nicht«, antwortete Winter.
»Und die Liste vom ›Odin‹? Sind welche dabei, die wir kennen?«
»Einige kleine Ganoven«, sagte Ringmar.
»So ist es doch immer.«
»Es sind nicht viele, nur ein paar«, erklärte Ringmar. »Die Anstellung in einem Hotel ist für viele wohl nur eine Durchgangsstation.«
»Wieso?«, fragte Aneta Djanali.
»Tja … in einem Hotel werden nicht so viele Fragen gestellt. Unter den Angestellten. Die scheinen nicht neugierig zu sein.«
»Das haben wir nun wahrlich gemerkt«, sagte Bergenhem.
Die Tür wurde mit einem Ruck aufgerissen.
Halders kam herein, das Handy immer noch in der Hand.
»Es war einer der Maler«, sagte er.
»Aus Paula Neys Wohnung?«, fragte Bergenhem.
»Nee, van Gogh.«
»Was hat er gesagt?«, fragte Winter.
»Papa Mario war öfter dort, wenn sie kamen.« Halders setzte sich.
»Und?«, fragte Aneta Djanali
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