Zimmer Nr. 10
weiß.«
»Haben Sie ihn öfter gesehen?«
»Nein …«
»Sie ziehen das so in die Länge.«
»Ich hab so ein Gefühl … Ich weiß nicht … als würde ich in der letzten Zeit verfolgt.«
»Verfolgt?«
»Ja …«
»Haben Sie jemand gesehen?«
»Nein …«
»Wie meinen Sie es dann?«
»Ich … Wie soll ich sagen … Es ist, als würde mir jemand folgen, mir nachspionieren. Mich beobachten. Bin ich nicht schrecklich albern? Vielleicht ist ja auch gar nichts.«
»Aber Ihnen ist niemand aufgefallen?«
»Nein … nicht direkt. Mir ist, als hätte ich vom Fenster aus jemanden gesehen. Jemanden … der draußen stand. Und einmal hat das Telefon geklingelt, es hat sich niemand gemeldet. Aber in der Leitung war jemand. Draußen heulte eine Sirene, ein Krankenwagen oder ein Polizeiauto, ich hab es … draußen und durchs Telefon gehört. Es schien dasselbe Geräusch zu sein, gleichzeitig. Und es war ganz in der Nähe.«
»Warum haben Sie mir das nicht eher erzählt?«
Sie antwortete nicht.
»Frau Lorrinder?«
»Könnte ich … in Gefahr sein?«
»Haben Sie jemanden, bei dem Sie unterkommen könnten?«, fragte Halders. »Eine Freundin? Familie?«
»Ich könnte jemanden … anrufen.«
Halders hörte die Angst in ihrer Stimme. Er wollte sie nicht erschrecken. Aber er nahm ihre Befürchtungen ernst. »Tun Sie das. Sind Sie ganz sicher, dass Sie ihn nicht auch bei anderer Gelegenheit gesehen haben, den jungen Mann, den Paula getroffen hat?«
»Ich … glaube schon.«
»In der Stadt? Oder irgendwo anders?«
»Nein.«
»Im Fitnessstudio?«
»Ich geh da nicht mehr hin, seit das mit Paula passiert ist.«
»Was ist passiert, nachdem Sie vorbeigegangen sind, ihn gesehen haben?«
»Ich hab mich erst umgedreht, als ich ein Stück entfernt war. Aber da konnte ich nichts mehr sehen. Die Büsche waren davor.«
»Und dann haben Sie die Straßenbahn genommen?«
»Ja.«
»Ist er Ihnen vorher schon mal in dem Viertel aufgefallen, in der Nähe von Paulas Wohnung?«
»Nein.«
»Okay, vielen Dank, dass Sie angerufen haben.«
»Was … passiert jetzt?«, fragte sie.
»Wir werden uns ein bisschen mit ihm unterhalten«, antwortete Halders.
Niemand öffnete, als sie an Jonas Sandlers Tür klingelten. Niemand hatte sich am Telefon gemeldet, das irgendwo dort drinnen stand. Auch unter Jonas’ Handynummer meldete sich niemand. Halders versuchte es noch einmal.
An der Tür hing ein handgeschriebenes Schild: Bitte keine Werbung.
»Nichts«, murrte Halders.
»Vielleicht ist er spazieren«, sagte Winter.
»Wahrscheinlich.« Halders steckte das Handy in die Innentasche seiner Lederjacke. »Streunt herum.«
»Es ist schrecklich, dass es Menschen gibt, die arbeitslos sind.« Winter klingelte noch einmal. »Man kann sie nicht einfach an ihrem Arbeitsplatz erreichen, wenn sie nicht zu Hause sind.«
Halders lachte auf. »Ein Fall für die Sozis.«
»Das überlassen wir besser dem Reichspolizeichef.« Winter wandte sich zur Treppe um.
»Ist der nicht auch Sozi?«, fragte Halders.
»Magst du keine Sozis, Fredrik?«
»Wenn ich mal Gelegenheit hätte, einen Sozi richtig kennen zu lernen, würde ich ihn oder sie vielleicht sogar mögen. Es gibt doch bestimmt auch weibliche Sozis. Nette Sozis.«
»Ich bin Sozi.« Winter begann, die Treppe hinunterzugehen.
»Machst du Witze?«
»Ja.«
»Was bist du denn?«
»Feminist.«
»Machst du Witze?«
»Nein.«
»Dann bin ich auch Feminist«, sagte Halders.
»Ich weiß, Fredrik.«
»Ich mein’s ehrlich, kein Witz.«
»Du hast versucht, es zu verbergen, aber mich legst du nicht rein«, sagte Winter.
»Dich kann wohl keiner reinlegen, was?«
Sie standen vor der Haustür, die hinter ihnen mit einem Jammerlaut ins Schloss fiel. Das Geräusch ließ Halders an Politiker bei den Sozis denken, die Beschlüsse fassen mussten, die nicht direkt ihrer eigenen Karriere auf die Sprünge halfen.
»Dieser Jonas«, seufzte Winter. »Hoffentlich hat der mich nicht an der Nase herumgeführt.«
»Wir warten bis heute Abend«, schlug Ringmar vor.
Winter nickte.
»Er könnte sich auf der Straße herumtreiben«, fuhr Ringmar fort. »Jetzt eine Suchmeldung … tja …«
»Vielleicht ist der längst über alle Berge«, sagte Halders.
»Dann hätten wir unseren Mann«, sagte Ringmar.
»Nicht unbedingt«, sagte Winter.
Anne Sandler meldete sich nicht. Winter hatte sie das erste Mal angerufen, als sie vor Jonas’ Wohnung standen. Er hatte es seither immer wieder versucht. Sie hatte keinen
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