Zimmer Nr. 10
den Schultern. »Sie hat schließlich selbst eingecheckt, wenn ich so sagen darf.«
»Sie ist zum Zimmer Nummer zehn hinaufgegangen«, sagte Winter. »Soweit wir wissen, hat sie das Zimmer nicht mehr verlassen. Sie hatte keinen Schlüssel. Niemand hier hat sie kommen oder gehen sehen. Sie blieb über Nacht in dem Zimmer. Sie bekam Besuch. Wir wissen nicht, wann. Niemand hat einen Besucher bemerkt.«
»Dies ist ein Hotel«, sagte Salko, »die Leute kommen und gehen.« Er breitete die Arme aus. »Sie sehen doch selbst, hier ist es verdammt schummrig, man kann kaum die Hand vor Augen erkennen.«
»Warum ist das so?«
»Fragen Sie den Besitzer.«
Das würde er tun. Aber es war nicht verboten, Strom zu sparen. Und Anonymität war eine Grundvoraussetzung dieses Etablissements. Elektrizität und Anonymität passten nicht besonders gut zusammen.
»Es heißt, dieser Laden soll dichtgemacht werden«, sagte Winter.
»Wer behauptet das?«
»Ist das nur ein Gerücht?«
»Fragen Sie nicht mich.«
»Sie wissen nichts davon?«
»Es gibt so viele Gerüchte«, meinte Salko. »Dieser Laden soll schon seit zwanzig Jahren dichtgemacht werden.«
»Fühlen Sie sich nicht unsicher angesichts dieser Arbeitssituation?«, fragte Winter.
Salko lächelte nicht. »Diesmal stimmt es vielleicht. Ja, vielleicht stimmt das Gerücht.« Er sah Winter in die Augen. »Ich schlage vor, Sie fragen den Besitzer.« Dann wandte er den Blick ab.
Winter hörte ein Geräusch hinter sich und drehte sich um. Die Tür schwang, aber er sah niemanden. Er hatte niemanden durch die Lobby gehen hören. Er drehte sich wieder zu Salko um. »Wer war das?«
»Wie bitte?«
»Wer ist da eben hinausgegangen?«
»Ich hab niemand gesehen.«
»Die Türen haben sich bewegt.«
»Muss der Wind gewesen sein.«
»Es ist windstill.«
»Ich hab doch gesagt, ich hab niemand gesehen.«
Winter wusste, dass er log. So etwas lernte man in zwanzig Jahren. Eine Lüge zu erkennen. Das war das Ergebnis von zwanzig Jahren Erfahrung.
»Wir haben mit der Putzfrau gesprochen, ihr ist nichts aufgefallen, nicht am Tag davor noch an den Tagen davor. Außerdem hat sie die letzten beiden Tage nicht das Zimmer geputzt.«
Salko zuckte zum dritten Mal mit den Schultern. »Es steht ja leer, also was soll’s?«
»Macht man keine … tja, Inspektion? Geht jeden Tag durch die Zimmer? Oder am Abend?«
»Nein.«
»Werden die Zimmer nicht jeden Tag geputzt? Jedenfalls wenn jemand drin wohnt?«
»Das bestimmen die Gäste. Sie können ein Schild aufhängen.«
»Bitte nicht aufräumen?«
»Nicht stören.«
»Das ist nicht dasselbe«, sagte Winter. »Ich versteh nicht, dass ein Hotel es sich leisten kann, aufs Putzen zu verzichten.«
Salko bemerkte an Winters Stimme, dass dieser die Gangart verschärft hatte. Falls er die Absicht gehabt hatte, wieder mit den Schultern zu zucken, so unterließ er es.
»Sie verstehen, was das bedeuten könnte?«, fragte Winter.
»Verstehen Sie das?«
Nina Lorrinder war einen halben Kopf größer als Aneta Djanali. Sie war auch einen halben Kopf größer gewesen als Paula Ney.
Es war Viertel nach fünf, und der Pub in der Västra Hamngatan hatte geöffnet. Er hieß »Bishop’s Arms«, und näher konnte man London in Göteborg nicht kommen. Aneta Djanali war schon früher dort gewesen, erst kürzlich, abends, zusammen mit Fredrik. Eine halbe Stunde später waren Bertil und Erik aufgetaucht. Erik hatte eine Runde für alle vom eben gelieferten frischen Ale bestellt. Für Aneta war es das erste und das letzte Pint ihres Lebens gewesen. Sie konnte ein billigeres Getränk mit dem gleichen Geschmack und Geruch bekommen, wenn sie einen Wischlappen auswrang.
»Ahhh«, hatte Erik geseufzt, als er ausgetrunken hatte.
»Noch eins?«
Aber jetzt gab es nicht noch eins. Es gab überhaupt kein Ale. Aneta Djanali und Nina Lorrinder tranken Tee.
Nina und Paula hatten ein Glas Weißwein getrunken. An eben diesem Tisch hatten sie gesessen, und heute war es der einzige freie Tisch im Lokal gewesen, als habe es sich herumgesprochen.
Aneta hatte Nina gefragt, ob sie sich dorthin setzen sollten, und Nina hatte genickt. Irgendwie makaber, schoss es Aneta Djanali durch den Kopf, aber vielleicht hilft es der Erinnerung auf die Sprünge.
»Wie lange haben Sie hier gesessen?«
»Das hab ich doch schon beantwortet?« Nina Lorrinders Stimme klang nicht unfreundlich.
»Wir stellen häufig dieselbe Frage mehrmals.« Weil wir vernagelt sind, dachte Aneta Djanali. Und weil
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