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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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ausdrücken soll.«
    »Und dort haben Sie also Paula getroffen.«
    »Ja.«
    »Wie ist das passiert?«
    Jetzt schien Nina Lorrinder fast zu lächeln. »Na ja, eine Kirche ist vielleicht nicht der Ort, wo man … neue Freunde kennen lernt. Es war eher vor der Kirche. Wir hatten einander schon bemerkt, und dann haben wir beschlossen, mal zusammen essen zu gehen. So war es wohl. Ich kann mich leider nicht genau erinnern.«
    »Wann war das?«, fragte Aneta Djanali.
    »Als wir essen gegangen sind?«
    »Als Sie das erste Mal miteinander gesprochen haben.«
    »Das ist schon … einige Jahre her.«
    »War Paula allein?«
    »Ja.«
    »Immer?«
    Nina Lorrinder nickte. Aneta Djanali las ihr von den Augen ab, dass auch sie einsam gewesen war. Dass sie einsam war. Man ging nicht in großen Gruppen in die Kirche. Die Gemeinschaft, die man suchte, konnte man dort finden. Aneta Djanali schaute wieder aus dem Fenster. Die Baumwipfel vor der Kirche wiegten sich wie im Kreis.
    Dem kleinen Jungen am Nebentisch hatten sie den Overall ausgezogen. Er trug ein T-Shirt, auf dem etwas stand, das Aneta Djanali von ihrem Platz aus nicht lesen konnte. Er wand sich auf dem Schoß seines Vaters, vor und zurück, hierhin und dahin, als wollte er weg, wieder hinaus in den Sonnenschein. Der Vater stand auf und hob ihn hoch, bis an die Decke, und das Kind lachte. Das Lachen hallte laut durch das Café, hell und klar wie der Tag vor der Tür. Bis vor einer Weile war es hier dunkel wie die Nacht, dachte Aneta Djanali. Der kleine Junge hat es geändert.
    »Hat sie jemals von Italien gesprochen?«, fragte Aneta Djanali.
    Nina Lorrinder hatte die Gymnastikeinlage am Nebentisch auch beobachtet. Aneta Djanali hatte das kleine Lächeln in ihr Gesicht zurückkehren sehen. Es war schwer, nicht zu lächeln. Auch sie selbst hatte gelächelt.
    »Italien? Nein, warum fragen Sie?«
    »Hat sie nie von ihrem Vater erzählt? Dass er aus Italien stammt? Aus Sizilien? Oder dass sie dort gewesen ist?«
    »Sie ist auf Sizilien gewesen?«
    »Wir wissen es nicht. Möglich ist es.«
    »Wann?«
    »Vor zehn Jahren.«
    »Nein, davon hat sie nie etwas gesagt.«
    »Hat sie von ihrem Vater gesprochen?«
    »Dass er von dort kommt, meinen Sie?«
    »Überhaupt.«
    »Tja … das schon. Aber das ist doch nicht weiter ungewöhnlich …«
    Nina Lorrinder blickte wieder nach draußen, hinüber zur Kirche. Aneta Djanali konnte sich nicht erinnern, die Domkirche jemals so lange betrachtet zu haben.
    »Was für eine Beziehung hatte Paula zu ihrem Vater?«
    »Die war okay, nehm ich an.«
    »Nur okay?«
    »Warum fragen Sie das?«
    »Wir versuchen immer herauszufinden … wie die Beziehungen in einer Familie sind.«
    Das war nicht gut. Zu plump ausgedrückt. Aber wenn es um die Familie ging, war jede Frage schwierig.
    »Die Routine, meinen Sie?«
    »Hat sie ihre Eltern oft getroffen?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Hat sie oft von ihnen gesprochen?«
    »Hab ich das nicht schon beantwortet?«
    »Sprach sie über ihre Mutter?«
    »Ja, manchmal.«
    »Aber Sie haben nicht bemerkt, ob sie ein … dass es irgendwelche Probleme gegeben haben könnte?«
    »Probleme?«
    »Bei den Neys, zwischen den Eltern oder zwischen Paula und einem Elternteil.«
    Nina Lorrinder schüttelte den Kopf.
    … und wenn ich euch verärgert habe dann möchte ich euch um Verzeihung bitten …
    Paulas letzte geschriebene Worte. Sie handelten von Schuld und Vergebung. Aneta Djanali lief jedes Mal ein kalter Schauer über den Rücken, wenn sie Paulas Brief an die Eltern las, mehr noch als ein Schauer, es war wie ein kalter Windhauch, der einen an einem warmen Tag überfällt.

8
    Winter ging von Zimmer zu Zimmer und öffnete die Fenster. Die Wohnung war warm, wärmer als seit Monaten, und der Staub hatte sich in Luft verwandelt. Es würde Stunden dauern, ehe es kühler wurde, auch die Abende waren wärmer als seit Monaten, aber er öffnete die Fenster trotzdem. Es wehte wenigstens ein leichter Wind, der nach spätem Nachmittag roch. Der Altweibersommer brachte einen Geruch nach Herbst mit sich, und der reichte, um das Kohlenmonoxyd etwas zu überdecken, das vom Verkehr aufstieg. Ihn hatte das nie gestört. Er hatte es sein ganzes Leben lang eingeatmet, er bewegte sich täglich darin, und wenn es ihm zu viel wurde, zündete er sich einen Corps an.
    Jetzt zündete er sich einen Corps an. Es war Europas teuerster Zigarillo, aber es war nun einmal eine alte Gewohnheit. Eine gute hygienische Gewohnheit. Der Raucher musste den langen

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