Zimmer Nr. 10
entgegengekommen, einer offensichtlich schweren Tüte.
»Es wird noch ein paar Tage dauern, bis wir die Antwort vom Labor in Linköping haben«, sagte Öberg, noch ehe Winter sich gesetzt hatte.
Winter nickte. Er sah den Strick vor seinem inneren Auge. Den Knoten. Den Blutfleck, der von allem Möglichen stammen konnte. Wenn es Blut war.
»Du wolltest ja keine Extrawurst.«
»Die hätten wir ja doch nicht gekriegt«, sagte Winter.
Er betrachtete die Stadt durch das Fenster hinter Öberg. Man hatte eine gute Sicht. Weit entfernt im Dunst ahnte er das Meer, hinter der Älvborgsbrücke, die von hier aus wie das Skelett eines urzeitlichen Tieres wirkte. Ich sollte das Büro wechseln, dachte er, sollte ein Stockwerk höher ziehen. Der Vogel war wieder da, vielleicht ein Habicht. Aus dieser Perspektive sah es aus, als kreiste er direkt über der Brücke, ein riesiges Lebewesen auf urzeitlichen Schwingen.
»Wir haben eine Spur«, sagte Öberg, »einen Schuh.«
Winter beugte sich vor. Er spürte etwas in seinen Haarspitzen wie einen plötzlichen Windhauch von draußen.
»Jemand hat vor diesem Schließfach Limo verschüttet«, fuhr Öberg fort. »Sie haben zwar geputzt, aber nicht gut genug. Das war gut für uns. Der Limonadenrest war gut für die Ermittlung. An Pommac kann viel festkleben.«
»War das Pommac?«, fragte Winter.
Öberg lächelte. »Die Analysen sind noch nicht abgeschlossen.«
»Ein Schuhabdruck«, sagte Winter.
»Wenn er überhaupt etwas bringt.«
»Es spricht viel dafür, dass es unser Mann gewesen sein könnte«, sagte Winter. »Hängt davon ab, wie alt der Abdruck ist.«
»Er ist frisch.«
»Wie frisch?«
»Ein, zwei Tage alt.«
»Das ist unser Mann.« Winter dachte darüber nach. »Wenn es ein Mann ist. Ist es einer? Ein Männerschuh?«
»Es ist jedenfalls der einzige Abdruck, den wir gefunden haben.« Öberg öffnete die Mappe, die auf dem Tisch zwischen ihnen lag. »Und soweit ich weiß, tragen nur Männer solche Schuhe. Oder besser gesagt, trugen.« Er nahm einige Fotos heraus und hielt sie Winter hin. »Erkennst du das Muster?«
Winter nahm ein Foto in die Hand. Zuerst sah das Bild aus wie eine unebene Fläche, vielleicht eine öde Landschaft. Nach einigen Sekunden erkannte er eine Form von Muster. Er sah Ränder. Am äußeren Rand war etwas, das Teil eines Buchstaben sein konnte. Er schaute auf.
»Erkennst du es?«, wiederholte Öberg.
»Kommt mir bekannt vor. Aber ich weiß nicht genau, was es ist.«
»Nicht deine Schuhmarke?«
»Nein.«
»Aber früher an den Füßen aller Männer«, sagte Öberg, »nur offenbar an deinen nicht.«
»Was ist es?«
»Ecco.«
»Ecco?«
»Ecco. Kennst du doch?«
»Natürlich.«
»Ecco Free. Extrem populäre Schuhmarke. Jedenfalls vor zwanzig Jahren oder so. Jetzt feiert sie offenbar eine Art Comeback.«
Winter schüttelte den Kopf.
»Das hätten wir kaum zu hoffen gewagt, oder?«, sagte Öberg.
Winter schaute wieder auf das Foto, ohne zu antworten. Jetzt wirkte die Landschaft schon weniger öde. Das Bild erinnerte eher an eine Karte, die man lesen könnte.
»Eine zwanzig Jahre alte Schuhsohle?«
»Nein. So lange hält nicht mal einer von Ecco.« Öberg deutete auf das Foto in Winters Hand. »Die hab ich früher auch getragen.«
»Und die Leute tragen sie immer noch?«, sagte Winter mehr zu sich selber. »Ich hab schon lange keine mehr gesehen.«
»Das könnte für dich von Vorteil sein«, sagte Öberg. »Vielleicht kaufen nur noch ganz wenige Leute in den Schuhläden der Stadt Ecco-Schuhe.«
»Mhm.«
»Aber soweit ich mich erinnere, hat es einige Billigkopien von dieser Marke gegeben. Weiß nicht, ob es die immer noch gibt.« Er sah auf. »Das müssen wir herausfinden.«
»Mehr hast du vor dem Schließfach nicht gefunden?«, fragte Winter und legte das Bild auf den Schreibtisch.
»Das ist doch schon mal was.«
»Man kann nie wissen.« Winter erhob sich.
»Aus dieser Gipshand werde ich nicht schlau«, sagte Öberg.
»Da bist du nicht allein.«
»Die ist eigentlich ziemlich plump gemacht.«
Winter nickte.
»Es ist eine Gussform benutzt worden«, sagte Öberg. »Ich weiß nur nicht, wo man die kriegt.«
»Eine gewöhnliche ist das nicht.«
»Und Gips …. Normalerweise gießt man wohl eine Art Plastikmasse in solche Formen. Wie für Schaufensterpuppen und so was.«
»Schaufensterpuppen«, wiederholte Winter.
Er schloss die Augen und sah ein leeres Gesicht vor sich und nackte Glieder in einer Farbe, die man bei Menschen
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