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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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schwieg, seine Miene, sein Gesichtsausdruck war alles andere als aufmunternd, und es war ein Ausdruck, den Winter kannte.
    »Gleichzeitig war es genau das, ermutigend«, fuhr er fort.
    »Vielleicht hatte ich einen schlechten Tag, als ich es gesagt habe«, sagte Birgersson. »Vielleicht war gerade ein zwölf Jahre altes Mädchen erschlagen worden.«
    »An den genauen Tag erinnere ich mich nicht mehr, nur an deinen Ausspruch.«
    »Ich habe es offenbar ernst gemeint.«
    »Ich bin es nicht gewohnt, dass du Witze machst, Sture.«
    »Durchhalten müssen wir also? Na ja, uns bleibt wohl nichts anderes übrig.«
    »Wahrscheinlich haben wir den Scheiß deshalb so satt«, sagte Winter. »Denn Scheiße ist es. Sehr viel sogar.«
    »Ein riesiger Haufen.« Birgersson hob das Bierglas. »Der stinkt bis zum Himmel. Zum Wohl, auf alle Scheißhäuser, die noch Platz für Scheiße haben. Kümmre dich drum. Und um all die Scheißkerle.«
    Winter hob sein Glas und prostete ihm zu, ohne richtig zu verstehen, was er meinte.
    »Der Grund, warum ich es überhaupt noch mit einem kleinen Scheißkerl wie dir aushalte, ist, dass du alles daransetzt, kein Zyniker zu werden«, brach es aus Birgersson hervor.
    Winter wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er hatte sich oft Sorgen gemacht, dass aus ihm zwangsläufig ein Zyniker werden würde. Wer in diesen Abgründen der Welt und der Menschlichkeit wühlte, musste einfach zynisch werden. Zynisch oder verrückt. Oder beides.
    »Ein Zyniker hört auf zu denken«, sagte Birgersson, als hätte er Winters Gedanken gelesen. »Das Gehirn funktioniert wie bei einem Automaten.«
    »Manchmal wünscht man sich das«, sagte Winter.
    »Oh nein, mein Junge, du nicht.«
    »Du auch nicht, Sture.«
    Birgersson lachte wieder sein Lachen, ein zischendes Lachen, das die beiden jüngeren Männer am Nebentisch veranlasste, ihr leises Gespräch zu unterbrechen und einen raschen Blick auf den grauhaarigen Mann zu werfen, der das weiße Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und offenem Kragen trug.
    »Nein«, sagte Birgersson nach einer Weile, »wer käme auch auf den Gedanken, mich zynisch zu nennen?«
    Und wer käme schon auf den Gedanken, Fredrik Halders zynisch zu nennen? Ganz schön viele, ehrlich gesagt. Alle, die irgendwann einmal Kontakt zu ihm gehabt hatten, ehrlich gesagt.
    Er war der Meinung, guten Grund für seine Lebenseinstellung zu haben, abgesehen davon, dass ihm die Arbeit Grund genug gab. Die Psyche eines Menschen verändert sich im Lauf des Lebens, jedenfalls bei einigen, und Halders hatte das Glück, einer von ihnen zu sein. Er hielt es für ein Glück. Denn er wusste, was da mit ihm geschah, und er wollte nicht verknöchern, bevor seine Kinder groß waren.
    Er stand wieder in Paula Neys Wohnung. Wonach suche ich hier? Immer noch nach dem Foto? Nein. Er lauschte. Nicht auf den Wind vorm Fenster oder das Trommeln des Regens gegen die Scheiben und nicht auf die Autos im Kreisverkehr um den Doktor Fries Torg. Nicht auf die Natur und alle Geräusche der Stadt. Darauf brauchte er nicht zu achten, sie waren nach all den Jahren auf den Straßen, in Autos, in Häusern, Parks und überall, wo man seinen Fuß nur hinsetzen konnte, tief in seinem Hirn verankert. Er schaute auf seine Füße, der eine stand vor dem anderen, als wäre er im Begriff, sich aus dem Fenster zu stürzen. Die Wolken draußen waren grau, man müsste sehr hoch hinauffliegen, um den blauen Himmel zu erreichen. War sie hinaufgeflogen? Und dann wieder hinunter? Halders sah sich nach einer Antwort suchend um. Die Stille war noch da. Er lauschte wieder, aber er hörte nichts. Er wusste, dass es hier eine Antwort gab, vielleicht mehrere. Notwendige Antworten, tragische Antworten. Die Antworten, die er sammelte, waren nicht dazu geeignet, die Welt in einen glücklicheren Ort zu verwandeln. Es war und blieb ein Kampf.
    Der Morgen war heller, als hätte der Himmel ein letztes Bedürfnis, alles zu geben. Winter schob das Fahrrad in den Ständer, schloss es ab und ging auf den Eingang zu. Ein großer Raubvogel kreiste hoch über dem Präsidium. Der Vogel zeichnete sich deutlich gegen das Blau ab. Plötzlich stieß er hinab und verschwand hinter dem Gebäude.
    Winter nahm den Fahrstuhl bis zu seinem Stockwerk.
    Torsten Öberg wartete in seinem Büro. Winter hatte das Klicken von Blitzlichtern gehört, als er an den Räumen des Fahndungsdezernats vorbeikam. Er hatte den Geruch nach etwas Scharfem erwartet. Eine Frau mit einer großen Plastiktüte war ihm

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