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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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wir es sehen, können wir die Tat verstehen. Sie halten etwas zurück.«
    »Es muss nicht unbedingt etwas sein, das uns nutzt«, sagte Winter.
    »Was nutzt uns denn?«, fragte Ringmar.
    »Alles.« Winter lächelte.
    Ringmar schaute aus dem Fenster. Winter sah die Regentropfen an den Scheiben. Es war ein leichter, unhörbarer Regen. Im Oktober würde er schwerer werden, gegen die Fensterscheiben trommeln.
    »Die Mutter klang irgendwie atemlos, als sie sich meldete.«
    Ringmar schaute weiter hinaus, Winter das Profil zugewandt. Es wurde von dem grauen Licht erhellt. Winter sah Ringmars weiches Kinn, vielleicht war es auch der Ansatz eines Doppelkinns. Das war ihm bisher noch gar nicht aufgefallen, von vorn war es nicht bemerkbar. Ringmars Gesicht begann zusammenzufallen, es war nur zu erahnen, in einem bestimmten Licht zu sehen.
    Bei Birgersson ist es schlimmer. Und dann bin ich an der Reihe.
    »Sie war nicht atemlos, weil sie eine Kellertreppe raufgelaufen war oder so«, vermutete Ringmar.
    »Sie hat jemand anders erwartet, nicht dich«, sagte Winter.
    »Genau. Sie hat nicht geglaubt, dass wir uns so bald wieder melden.« Ringmar drehte sich zu Winter um, und sein Kinn straffte sich wieder, wurde fast schmal. »Sie hat jemand ganz anders erwartet.«
    »War ihr Mann zu Hause?«, fragte Winter.
    »Ich hab mir schnell etwas ausgedacht und nach ihm verlangt. Ja, er war da.«
    »Sie haben Verwandte, Freunde. Könnte sein, dass einer von denen mit Anrufen dran war.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Ringmar, »ich weiß nicht.«
    Winter erhob sich. Er wollte hier nicht mehr sitzen, wollte nie mehr hier sitzen. Plötzlich schloss er die Augen, um die Tür nicht sehen zu müssen, die Wände, den Schreibtisch. Er spürte seinen Herzschlag. Er fühlte sich nicht gut. Ist das eine Lebenskrise?, dachte er. Mit vierzig habe ich keine Midlifecrisis gehabt, jedenfalls nicht, soweit ich weiß. Jetzt bin ich fünfundvierzig, genau zwischen vierzig und fünfzig. Krieg ich sie jetzt? »Wir fahren zu ihnen«, sagte er.
    »Jetzt?«
    »Ja.«
    Die Sonne lugte durch die Wolken, als sie in die Allén einbogen, ein goldener Schimmer im goldenen Laub, das langsam seine Farbe wechselte. Winter empfand immer noch Unbehagen, eine Vorahnung von Übelkeit. Ringmar fuhr. Winter ließ die Scheibe herunter, um Luft zu schnappen. Die kühle Brise tat gut im Gesicht. Es duftete nach Herbst. Sonnenlicht blendete ihn, aber das war nicht unangenehm. Er schloss die Augen.
    Wann waren er und Ringmar zum ersten Mal zusammen unterwegs gewesen? Das war Winter entfallen.
    Er erinnerte sich aber an den zweiten Fall, in dem sie beide ermittelt hatten.
    Sie hatte selbst angerufen, eine atemlose Stimme. Voller Angst. Winter hatte das Gespräch im Auto entgegengenommen. Es war von der Zentrale des Landeskriminalamtes durchgestellt worden, sie befanden sich gerade in der Nähe der betreffenden Wohnung. Als sie vor der Tür standen, hatten sie drinnen Schreie gehört. Der Krach einer Familie. Die Schreie einer Frau. Es war nicht das Mädchen. Es war die Mutter, das erkannten sie hinterher. Die Tochter wollte nicht tun, was der Vater befohlen hatte. Sie war einige Abende spät nach Hause gekommen. Jetzt wollte sie wieder los. Ihr Vater wies sie mit einem Küchengerät in die Schranken. Jetzt hatte Winter ihr Bild vor Augen, während sie durch die Allén fuhren. Warum zum Teufel musste er in diesem Augenblick an sie denken? Mariana? Wie hieß sie? Maria? Bertil wird es wissen, er hat ein besseres Namensgedächtnis als ich. Aber ich werde ihn nicht fragen. Wir glaubten, wir hätten sie gerettet. Im Krankenwagen lebte sie noch. Der kam schnell, erstaunlich schnell. Der Vater war weg, war jetzt in einer anderen Welt. Das Messer war im Hof gelandet. Durch das offene Fenster im zweiten Stock. Alles hatte sich in der Küche abgespielt. Mir war die Farbe der Wachstuchdecke aufgefallen, das Muster könnte ich immer noch nachzeichnen. Das Abendbrot stand noch auf dem Tisch, sie hatten kaum damit angefangen. Der Vater hatte begonnen zu fragen. Wohin willst du? Wohin willst du denn jetzt schon wieder? Wenn er nur nicht gefragt hätte, sagte die Mutter hinterher ein ums andere Mal. Wenn er sie bloß nicht noch mal gefragt hätte. Schock, sie stand unter Schock, und warum sollte sie ihn jemals loswerden. Niemals würde sie sich daraus befreien können. Genauso wenig wie Elisabeth Ney.
    »Es zieht«, sagte Ringmar.
    »Es zieht doch hauptsächlich auf meiner Seite«, sagte Winter.
    »Räumst

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