Zirkus zur dreizehnten Stunde
Zirkus war weg, die Wesen, die sie gesammelt hatte, starben oder verschwanden. Sie richteten sich nach ihrer Geburt aus, bekriegten sich sogar untereinander. Aus Freunden wurden Feinde. Der Zirkus zerbrach immer mehr … und der einzige, den sie noch hatte, war Cael. Ein Vampir. Ein Wesen der Dunkelheit. Ein Wesen, das auf der anderen Seite stand, das seit jeher versuchte, ihren Traum von einem Zufluchtsort für alle Wesen, zu zerstören.
Ihr Traum. Dämonen und Engel Seite an Seite. Geschützt vor den Menschen ohne Hass und ohne, dass sie einem grausamen Schicksal nachgeben mussten.
„Was willst du … von mir?“, fragte sie schließlich, bevor sie dem Drang nachgab und einfach nach dem letzten Strohhalm griff, der in ihrer Nähe war.
„Was glaubst du denn?“, fragte er statt zu antworten.
Ein leichter Wind kam auf, fuhr ihr durch die Haare und verschleierte ihren Blick. Cael war ein Spieler. Er spielte mit allem, den Gefühlen, den Menschen … der Realität.
„Ich weiß es nicht“, gab sie offen zu. „Seit dem Tag, als ich dich zum ersten Mal traf, weiß ich nicht, was dich immer wieder zu mir führt.“
Er schnaubte belustigt. „Vielleicht ist das auch besser so.“ Er sah auf sie herab. „Gib deinen Zirkus auf. Er wird sonst mehr als nur dein Grab werden.“
„Warum sollte ich dir glauben? Gerade dir?“ Sie sah auf, blickte in seine Augen, schüttelte dann den Kopf. „Nenn mir einen, Cael, der nicht in sein Verderben geraten ist, als er dir vertraute und deine Ratschläge befolgte.“
„Du könntest tatsächlich die erste sein“, meinte er. Es war kein Hohn in seiner Stimme, keine Anspielung oder ein verräterischer Unterton. Vielleicht war es diese Offenheit, die sie dazu verleitete, ihre Hand in die seine zu legen. Vielleicht war es auch die immer größer werdende Verzweiflung, die sich mehr und mehr in ihr festsetzte.
Ein seltsames Gefühl ergriff von ihr Besitz. Ein Gefühl, das sie nicht einordnen konnte. War es Angst? War es Sicherheit?
Plötzlich schien alles in ihr zu rebellieren. Freude und Trauer prallten aufeinander wie zwei Urmächte. Ein Sturm erhob sich, der die Kraft verlor, sich aufrechtzuerhalten. Die Welt, die sich aufbaute, wollte zusammenbrechen, noch bevor sie vollendet war.
Alles stand Kopf!
Antigone schloss die Augen, ihr einziger Halt seine Hand, die sie hielt. Etwas geschah. Sie fühlte sich in der Zeit zurückgeschleudert. Sie sah ihren Zirkus, ihre Bemühungen, ihn aufzubauen. Dann das erste Kind, das sie gerettet hatte, damals vor der Klinge Amaliels. Sie wurde weiter zurück gerissen, bis zu dem Moment, als sie sich unter Tränen gegen ihre einstigen Freunde gestellt hatte. Freunde? Es war einfach nur ihre Rasse, der sie angehörte und zu denen sie den Kontakt verloren hatte. Keiner hatte sie verstehen können. Die Engel hatten sie angesehen, als wäre sie eine Aussätzige. Dabei wollte sie doch nur, dass das Morden aufhörte, die Jagd nach Wesen, die weder Engel noch Mensch waren. Sie wollte das Kind retten, das aus einer verbotenen Verbindung hervorgegangen war. Sie hatte sich aufgelehnt, gegen die Höchsten und gegen alte Regeln, hatte einfach nach ihren Gefühlen gehandelt.
Ihre Gefühle … der Grund, warum sie von allen gemieden worden war. Der Grund, warum sie alle verlassen hatte. Dabei hatte sie doch nur für ihre Überzeugungen gekämpft. Sie hatte alles geopfert.
Mit einem Schrei brach sie zusammen als wären die Schmerzen wieder real. Sie sah sich selbst auf dem Boden knien. Einen ihrer Flügel hatte sie abgetrennt. Mit einem Schwert hatte sie so lange darauf eingehackt, bis er sich einfach abreißen ließ. Sie wollte nicht mehr hierhergehören. Sie wollte nicht mehr verurteilt werden, als krank bezeichnet werden, nur weil sie in der Lage war, zu fühlen.
Sie liebte die Wesen. Nicht nur die Menschen, auch die Wechselbälger, die Halbblute, alle, die es gab. Sie hatten doch nicht alle eine böse Seele in sich.
Warum begriff das niemand?
Dann stand er vor ihr. Michael, einer der großen Vier. Scheinbar war ihr Vergehen so groß, dass sie ihn geschickt hatten. Ihre Handlungen hatten Kreise gezogen, man verachtete sie auf höchster Stufe. Die Augen des Erzengels waren zwar mitleidig auf sie gerichtet gewesen, doch Gnade hatte er nicht gekannt. Mit einem Schlag trennte er den anderen Flügel ab.
Der Schnitt der Waffe hatte mehr gebrannt als das einfache Schwert, das sie benutzt hatte. Die Verbrennung war bis in ihre Seele gedrungen. Es war
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