Zirkus zur dreizehnten Stunde
rammte ihr seine Krallen in Rücken und Hals. Im nächsten Augenblick fiel der anmutige Körper der Elfe tot zu Boden.
„Nein!“, Antigone keuchte erneut als sie die Angreiferin erkannte. Fremdartig anmutende Kleidung, schmale Augen, bluttriefende Fingernägel.
„Reiko“, flüsterte sie entsetzt. Sie hatte alle Beherrschung verloren. Ihr Drang war einzig und allein zu töten. Vor allem die Wesen, die auf der anderen Seite der Kräfte standen. Reiko schien sie nicht mehr zu erkennen. Sie ließ den Körper des engelhaften Wesens liegen und ging davon.
Sie töteten. Alle, die hier waren, töteten. Ihr ganzes Sinnen galt dem Morden, dem Vernichten anderer Wesen. Überall roch Antigone den kalten Eisengeschmack, der ihr allmählich Übelkeit bereitete.
Weitere Wesen tauchten auf. Eine Banshee saß in einer Ecke und schrie unaufhörlich und raufte sich die Haare. Ein Kobold flitzte von Ecke zu Ecke und trug immer andere Lasten mit sich. Wieder einige Meter weiter saß eine dürre Gestalt. Jedes Mal wenn sie sich bewegte, schien etwas an ihr zu flimmern. Beim Heben der Hand wurde diese durchscheinend und Antigone sah nur noch die Knochen. Das Wenden des Kopfes führte zu einem Blick in einen Totenschädel. Mit einem Stöhnen, richtete sich das Geschöpf schließlich auf, ließ einen langen Mantel um seine Schultern gleiten und zog sich eine weite Kapuze tief ins Gesicht. Mit schlurfenden Schritten und einer Sanduhr in der Hand ging er los. Wo er vorbeikam erloschen die Kerzen.
Je weiter Antigone ging, umso mehr Wesen wurden es. Schließlich blieb sie stehen.
„Was ist das hier nur?“, wisperte sie.
„Das hier ist unserer Welt!“, schnitt eine Stimme plötzlich in ihre Gedanken.
Sofort fuhr sie herum, sah ein kleines Mütterchen hinter sich. Rindenhaut, Blätterhaare und überall mit dem Stein verwachsen wo sie hintrat.
„Was hast du hier zu suchen?“, zischte die Fremde.
„Ich bin nur … durch Zufall hier.“ Antigone sah ihr entgegen, wich keinen Schritt zurück.
„Zufall?“ Die Alte spie aus. „Es gibt keinen Zufall. Du hast hier nichts zu suchen. Das ist unsere Welt. Unsere Welt, die nicht von deinem Gift angegriffen wird.“
„Ich bin die Letzte, die Gift verbreitet.“ Was erlaubte sich diese Hexe? Antigone war die einzige, die solchen Wesen eine Zukunft bot.
„Dein Weg ist uns allen ein Dorn im Auge“, zeterte die Fremde. „Du fängst unsere Kinder, entziehst sie unserem Einfluss und unserer Erziehung. Sie müssen ihr Wesen verleugnen. Eingesperrt in bunte Karren, um Narren für die Menschen zu sein.“
„Ich gebe ihnen die Möglichkeit, zu wachsen und sich frei zu entfalten“, widersprach Antigone.
„So?“ Die Augen der Alten wurden schmal.
„Ihr tötet!“, fauchte Antigone. „Ihr alle. Und ihr genießt es, die Körper von anderen zu zerstückeln und sie leiden zu lassen. Mein Zirkus verleugnet euch nicht, mein Zirkus hilft euch, euren Hass abzulegen und frei zu sein.“
„Außer dem Zwang sich zu verstecken.“ Die Baumhexe fixierte Antigone. „Masken zu tragen und anderen vorzuspielen, etwas zu sein, was sie nicht sind.“
„Darum der Zirkus. Bei ihren Auftritten glauben die Menschen, es würde ihnen etwas vorgespielt. Tatsächlich nutzen die Wesen frei ihre Fähigkeiten.“
„Aber wenn ihre Masken fallen, während Menschen anwesend sind“, eine kleine Pause, „werden sie gejagt. Getötet, wenn sie Glück haben.“
„Das ist –“
„Wahr!“, schrie die Hexe auf und unterbrach sie harsch. „Aber du hast zum letzten Mal einen der unseren eingesperrt.“ Ein Lachen erklang und um die Alte scherten sich weitere Gestalten. „Ich hätte nicht gedacht, dass es so leicht wird. Dass du freiwillig zu uns kommst, damit wir deinem Treiben ein Ende setzen können.“
Antigone wich zurück. Es wurden immer mehr. Augen starrten sie an. Überall spürte sie die Abneigung, die pure Mordlust. Ihre Füße schienen sich nicht mehr richtig bewegen zu können. Als hätte sie tonnenschwere Gewichte daran, die sie regelrecht festhielten.
War das die Alte? Was war hier nur los? Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass man sie so sehr verachtete, für das, was sie tat.
Allmählich rückte die Meute näher. Schattenhunde, niedere Dämonen, alles kam auf sie zugekrochen.
„Wage es nicht sie anzufassen, Bajah“, eine Stimme ertönte und alles stockte mitten in der Bewegung.
„Noch ein ungebetener Gast?“ Die Hexe fauchte und stieß mit ihrem Stock auf den Boden. Ein leichtes
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