Zirkuskind
Gewächs mit Melanomcharakter
entgegen. Doch der Doktor konnte sich nicht dazu überwinden, Promila den Rat zu
geben, das Ding von einem Arzt untersuchen zu lassen. Das war ohnehin keine Aufgabe
für einen Orthopäden, und Farrokh mußte daran denken, wie ungnädig Promila reagiert
hatte, als Lowji Rahuls Unbehaartheit als Bagatelle [284] abgetan hatte. Er fragte
sich, ob die Diagnose seines Vaters vielleicht voreilig gewesen war; möglicherweise
war die Unbehaartheit ja ein frühes Anzeichen dafür gewesen, daß irgend etwas an
Rahuls Geschlecht der Korrektur bedurfte.
Er versuchte sich
an die ungeklärte Verbindung zu Dr. Tata zu erinnern und rief sich den Tag ins Gedächtnis,
an dem Promila und Rahul den alten Narren vor dem Anwesen der Daruwallas abgesetzt
hatten. Damals hatten Farrokh und seine Eltern Mutmaßungen darüber angestellt, warum
Promila oder Rahul Dr. Tata aufgesucht haben mochte. Es war unwahrscheinlich, daß
sich Promila in DR. TATAS BESTER, BERÜHMTESTER KLINIK FÜR GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE behandeln ließ, da sie es nie riskiert
hätte, ihre kostbaren Geschlechtsteile einem Arzt anzuvertrauen, der in dem Ruf
stand, noch schlechter zu sein als so manche andere. Lowji hatte damals gemeint,
daß möglicherweise Rahul Dr. Tatas Patient war. »Hat vermutlich was mit seiner Unbehaartheit
zu tun«, hatte sein Vater gesagt, wenn Farrokh sich recht erinnerte.
Jetzt war der alte
Dr. Tata tot. Übereinstimmend mit den eher zurückhaltenden Zeiten hatte sein Sohn,
der ebenfalls Geburtshelfer und Gynäkologe war, »beste« und »berühmteste« aus dem
Kliniknamen gestrichen – obwohl sein Ruf als Arzt angeblich ebenso weit unter dem
Durchschnitt lag wie der seines Vaters, weshalb er in Bombayer Medizinerkreisen
auch konsequent als »Tata Zwo« bezeichnet wurde. Aber möglicherweise hatte Tata
Zwo die Krankengeschichten seines Vaters aufbewahrt. Farrokh überlegte, daß es vielleicht
interessant sein könnte, mehr über Rahuls Unbehaartheit zu erfahren.
Die Vorstellung,
daß Promila und Rahul so zielstrebig auf eine Geschlechtsumwandlung bei Rahul hinarbeiteten,
daß sie annahmen, ein gynäkologischer Chirurg sei die richtige Anlaufstelle, belustigte
Dr. Daruwalla. Man erkundigt sich nicht bei [285] dem Arzt, der mit den Teilen vertraut
ist, die man haben möchte, sondern bei einem, der über die Teile Bescheid weiß,
die man hat! Hier wurde ein Urologe benötigt. Vermutlich war auch ein psychiatrisches
Gutachten erforderlich, denn bestimmt würde kein verantwortungsbewußter Arzt eine
vollständige Geschlechtsumwandlung einfach so auf Anfrage durchführen.
Dann fiel Farrokh
ein, daß Operationen zur Geschlechtsumwandlung in Indien illegal waren, obwohl dies
die hijras keineswegs davon abhielt, sich selbst
zu kastrieren; Entmannung war eine Pflicht, die ihnen die Kaste auferlegte. Doch
Rahul war offensichtlich an keine so belastende »Pflicht« gebunden; für seine Entscheidung
mußte wohl ein anderes Motiv ausschlaggebend gewesen sein – er wollte nicht das
genau definierte dritte Geschlecht eines Eunuchen-Transvestiten annehmen, sondern
»komplett« sein. Eine echte Frau – genau das wollte Rahul Dr. Daruwallas Ansicht
nach sein.
»Vermutlich hat
Ihnen der junge Sidhwa das Hotel Bardez empfohlen«, sagte Promila verächtlich zum
Doktor, der sich daraufhin wohl oder übel an die unwahrscheinliche Informationsquelle
erinnerte. Sidhwa war ein junger Mann, dessen Geschmack sich für Farrokhs Begriffe
viel zu sehr an modischen Trends orientierte, doch im Falle des Hotel Bardez hatte
sich Sidhwa mit ungezügelter Begeisterung – und sehr ausführlich – geäußert.
»Ja, es war Sidhwa«,
entgegnete der Doktor. »Vermutlich hat er Ihnen auch davon erzählt.«
Promila Rai schaute
zu Dr. Daruwalla in seiner Hängematte hinunter. Auf ihrem Gesicht lag die kalte
Herablassung eines Reptils. In ihrem Blick war kein Schimmer von Mitgefühl, sondern
höchstens das, was man bei einer Eidechse, die eine Fliege ins Visier nimmt, für
Begierde halten könnte.
»Ich habe ihm davon erzählt«, erklärte sie Farrokh.
»Das Bardez ist mein Hotel. Ich komme schon seit Jahren hierher.«
[286] Oje, was habe
ich da nur für eine Entscheidung getroffen! dachte Dr. Daruwalla. Aber Promila war
mit ihm fertig, zumindest für den Augenblick. Sie spazierte einfach davon, ohne
ein Mindestmaß an Höflichkeit, obwohl sie sicher wußte, was gute Manieren waren,
und sie in übertriebenem Maß an den Tag zu legen
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