Zirkuskind
Operationen
berichtet. Während der Doktor aus seiner Hängematte zu Promila aufsah, bemerkte
er die unnatürliche Straffheit (unter ihren Augen), die vom letzten Liften stammte;
dabei mußte sie anderswo noch dringend gestrafft werden. Sie war verblüffend häßlich
und erinnerte mit ihren baumelnden Kehllappen an eine seltene Geflügelart. Farrokh
fand es nicht erstaunlich, daß derselbe Mann sie zweimal vor dem Altar hatte stehenlassen;
vielmehr erstaunte ihn, daß derselbe Mann es gewagt haben sollte, ihr ein zweites
Mal so nahe zu kommen – denn er empfand sie in mehr als einer Beziehung als, wie
der alte Lowji es ausgedrückt hatte, eine »Miss Havisham mal zwei«. Sie war nicht
nur zweimal sitzengelassen worden, sondern wirkte auch doppelt so rachsüchtig, doppelt
so gefährlich und – ihrem bedenklichen Neffen-mit-Brüsten nach zu schließen – doppelt
so undurchschaubar.
»Sie erinnern sich
doch an Rahul«, sagte Promila zu Farrokh, und um sicher zu sein, daß er ihr auch
seine volle Aufmerksamkeit schenkte, klopfte sie mit ihren langen, blaugeäderten
Fingern auf den Buchrücken, der noch immer Farrokhs geduckte Erektion verbarg. Als
Dr. Daruwalla zu Rahul aufsah, spürte er, wie sein Ständer dahinschmolz.
»Ja, natürlich –
Rahul!« sagte der Doktor. Er hatte die Gerüchte gehört, sich aber vorgestellt, daß
Rahul schlimmstenfalls die grelle Homosexualität seines verstorbenen Bruders Subodh
hervorkehren würde, möglicherweise um damit dessen Andenken zu ehren. Damals, während
jenes schrecklichen Monsuns im Jahr 1949, hatte Neville Eden Farrokh damit schockieren
wollen, daß er ihm erzählte, er würde Subodh Rai mit nach Italien nehmen, weil eine
Pastakur die Widerstandskraft gegen die Härten des Analverkehrs stärke. Wenig später
waren beide bei einem [280] Autounfall ums Leben gekommen. Dr. Daruwalla hatte sich
schon gedacht, daß es den jungen Rahul ziemlich hart treffen würde, aber doch nicht
so hart!
»Rahul hat sich
einer kleinen Geschlechtsumwandlung unterzogen«, sagte Promila Rai mit jener vulgären
Direktheit, die bei Leuten, die unsicher oder nicht auf der Höhe der Zeit sind,
allgemein als der Gipfel an Weltgewandtheit gilt.
Rahul korrigierte
seine Tante mit einer Stimme, die den Kampf unterschiedlicher Hormone widerspiegelte.
»Ich stecke noch mitten drin, Tantchen«, bemerkte Rahul. »Ich bin noch nicht ganz
komplett«, sagte er betont zu Dr. Daruwalla.
»Das sehe ich«,
antwortete der Doktor, obwohl das nicht stimmte, denn er konnte sich nicht vorstellen,
welchen Veränderungen sich Rahul unterzogen hatte, geschweige denn, was noch erforderlich
sein würde, bis Rahul »komplett« war. Seine Brüste waren ziemlich klein, aber fest
und sehr hübsch geformt. Die Lippen waren voller und weicher, als Farrokh sie in
Erinnerung hatte, und das Make-up betonte dezent die Augen. Wenn Rahul im Jahr 1949
zwölf oder dreizehn Jahre alt gewesen war – und nicht älter als zehn, als Lowji
ihn wegen der von seiner Tante so bezeichneten unerklärlichen Unbehaartheit untersucht
hatte –, konnte sich Farrokh ausrechnen, daß er jetzt zwei- oder dreiunddreißig
war. Da der Doktor auf dem Rücken in der Hängematte lag, sah er nur Rahuls obere
Hälfte bis zur Taille, die zart und geschmeidig war wie die eines jungen Mädchens.
Für den Doktor bestand
kein Zweifel, daß Östrogene mit im Spiel waren, und Rahuls Brüsten und seiner makellosen
Haut nach zu schließen, hatten sie bemerkenswerten Erfolg gehabt. Ihre Auswirkungen
auf Rahuls Stimme waren bestenfalls im Gange, denn noch setzte sich diese aus einem
wilden Durcheinander männlicher und weiblicher Klänge zusammen. War Rahul kastriert
worden? Durfte man das fragen? Rahul sah weiblicher aus als die meisten hijras. Aber warum hätte er sich den Penis [281] entfernen lassen sollen, wenn er die Absicht hatte, »komplett« zu werden? Denn
das bedeutete ja vermutlich eine voll ausgeformte Vagina, und die wurde doch wohl
auf chirurgischem Weg aus dem umgestülpten Penis gebildet. Ein Glück, daß ich nur
Orthopäde bin, dachte Dr. Daruwalla dankbar. Und so fragte er Rahul lediglich: »Werden
Sie auch Ihren Namen ändern?«
Frech, ja geradezu
kokett lächelte Rahul zu Farrokh hinunter, während in seiner Stimme erneut männliche
und weibliche Elemente miteinander kämpften. »Erst wenn ich ganz echt bin«, antwortete
Rahul.
»Verstehe«, antwortete
der Doktor und gab sich Mühe, Rahuls Lächeln zu erwidern oder zumindest tolerant
zu
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