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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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daß sie so offensichtlich keinerlei Wert auf eine Unterredung mit Promila legte,
lag nur daran, daß sie bereits beschlossen hatte, jede adoptionswillige Person abzulehnen
– nicht nur Promila. Sie war davon ausgegangen, daß die Daruwallas gutgläubige Trottel
waren, wenn es um Kinder ging, und sie hatte sich nicht getäuscht.
    Allerdings hatte
niemand damit gerechnet, daß es nicht nur ein dunkelhaariger Junge werden würde,
sondern zwei – eineiige Zwillinge mit unglaublich schönen, mandelförmigen Gesichtern
und pechschwarzen Haaren! Promila Rai würde sie nicht haben wollen, und nicht nur,
weil es dunkelhaarige Jungen waren. Sie würde behaupten, daß eine Frau, die Zwillinge
bekam, garantiert Drogen genommen hatte.
    Eine ganz und gar
unerwartete Wendung erfuhren die Dinge durch Danny Mills’ hartnäckige Liebesbriefe
an Veronica Rose und durch den Tod von Neville Eden – er fiel in Italien einem Autounfall
zum Opfer, der auch dem extravaganten Leben von Subodh Rai ein Ende bereitete. Bis
die Nachricht von dem Verkehrsunfall eintraf, hatte Vera gegen jede Logik gehofft,
Neville würde vielleicht zu ihr zurückkehren. Jetzt entschied sie, daß der tödliche
Unfall die Strafe Gottes dafür war, daß Neville Subodh ihr vorgezogen hatte. In
späteren Jahren hätschelte sie diesen Gedanken noch weiter und gelangte zu der festen
Überzeugung, daß es sich bei Aids um den gründlich durchdachten Versuch Gottes handelte,
die natürliche Ordnung im Universum wiederherzustellen. Wie viele dumme Leute glaubte
sie, diese Geißel der Menschheit sei eine von Gott geschickte Strafe [191]  für die
vom rechten Weg abgekommenen Homosexuellen. Eigentlich war das ein bemerkenswerter
Gedanke für eine Frau, die nicht genug Phantasie besaß, um an Gott zu glauben.
    Für Vera war klar
gewesen, daß Neville sie nicht mit einem Baby im Bauch gewollt hätte. Doch nach
Nevilles plötzlichem Abgang richtete Vera ihr Sinnen und Trachten auf Danny. Würde
Danny sie immer noch heiraten, auch wenn sie eine kleine Überraschung mitbrachte?
Ganz bestimmt, dachte Vera.
    »Liebling«, schrieb
sie an Danny. »Ich hatte nicht die Absicht, deine Liebe auf die Probe zu stellen,
aber ich habe während der ganzen Zeit unser Kind ausgetragen.« (Durch die Monate
bei Lowji und Meher hatte sich Veras Vokabular erheblich verbessert.) Als Vera die
Zwillinge zum erstenmal sah, verkündete sie unverzüglich, sie müßten von Neville
stammen, weil sie ihrer Ansicht nach viel zu hübsch waren, um von Danny zu sein.
    Was nun Danny Mills’
eigenartige Rolle in diesem Spiel anging, so hatte er bisher noch nie erwogen, ein
Kind in die Welt zu setzen. Er stammte von netten, aber erschöpften Eltern ab, die
schon zu viele Kinder hatten, als Danny auf die Welt kam, und ihn mit einer herzlichen
Gleichgültigkeit behandelten, die an Vernachlässigung grenzte. Danny schrieb behutsam
an seine geliebte Vera, er sei entzückt, daß sie ihrer beider Kind erwarte. Ein
Kind, das war ein hübscher Gedanke – er konnte nur hoffen, daß sie nicht gleich
eine ganze Familie gründen wollte.
    Zwillinge sind an
sich schon »eine ganze Familie«, wie jeder Dummkopf weiß, und damit würde sich das
knifflige Problem von selbst so lösen, wie vorherzusehen war: Ein Kind würde Vera
mit nach Hause nehmen, und das andere würden die Daruwallas behalten. Simpel ausgedrückt:
Vera wollte Dannys gedämpfte Begeisterung für die Vaterschaft nicht überstrapazieren.
    Von den zahlreichen
Überraschungen, die Lowji bevorstanden, war der Ratschlag seines senilen Freundes
Dr. Tata [192]  keineswegs die kleinste. »Wenn Zwillinge im Anmarsch sind, setz dein
Geld auf den, der zuerst herauskommt.« Dr. Daruwalla senior war schockiert, doch
da er Orthopäde war und kein Geburtshelfer, gab er sich Mühe, Dr. Tatas Empfehlung
zu folgen. Doch bei der Geburt der Zwillinge herrschte so viel Aufregung und Verwirrung,
daß keine Krankenschwester darauf achtete, welcher zuerst herauskam; und der alte
Dr. Tata wußte es später auch nicht mehr.
    Die Zwillinge waren
ein typisches Beispiel für die Sorte »Fehlleistungen«, zu denen Dr. Tata neigte:
Daß ihm bei den vielen Malen, die er sein Stethoskop an Veras dicken Bauch gelegt
hatte, der doppelte Herzschlag entgangen war, schrieb er den unprofessionellen Begleitumständen
von Hausbesuchen zu. In seiner Praxis, unter anständigen Bedingungen, hätte er die
zwei Herzen garantiert gehört, behauptete er. Aber unter den gegebenen

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