Zirkuskind
Zug –, und vor allem war er nicht so bekannt,
daß Dr. Daruwalla ihn nicht ein bißchen hätte herumkommandieren können. Die vertraglichen
Vereinbarungen sahen so aus, wie sie nach Danny Mills’ Ansicht zu sein hatten, und
beinhalteten, daß der vom Doktor ausgewählte junge und unbekannte Schauspieler den
Inspector Dhar spielen sollte. Damals war John Daruwalla zweiundzwanzig.
Farrokhs erster
Versuch, den jungen Mann als Anglo-Inder auszugeben, überzeugte Balraj Gupta ganz
und gar nicht. »Auf mich wirkt er wie ein Europäer«, beklagte sich der Regisseur.
»Aber sein Hindi ist vermutlich echt.« Doch nach dem Erfolg des ersten Inspector-Dhar-Films
fiel es Balraj Gupta nicht im Traum ein, dem Orthopäden (aus Kanada!) dreinzureden,
der der Stadt Bombay ihren bestgehaßten Antihelden beschert hatte.
Der erste Film hieß Inspector
Dhar und der erhängte Mali . Vor mehr als zwanzig Jahren hatte man in der alten Ridge Road
in Malabar Hill einen echten Gärtner an einem Paternosterbaum erhängt aufgefunden
– ein ausgesprochen feudaler Stadtteil, um sich aufknüpfen zu lassen. Der mali war ein Muslim, der kurz zuvor aus
den Diensten mehrerer Bewohner von Malabar Hill entlassen worden war. Man hatte
ihn wegen etlicher Diebstähle verklagt, die ihm jedoch nie nachgewiesen werden konnten. [198] Einige Leute behaupteten, der Gärtner sei wegen seiner extremistischen Ansichten
gefeuert worden. Angeblich war er empört, daß die Babar-Moschee geschlossen worden
war.
Als Farrokh diesen
zwanzig Jahre später in seiner fiktiven Geschichte aufgriff, machte sich kaum jemand
klar, daß Inspector
Dhar und der erhängte Mali an eine historische Begebenheit anknüpfte. Die aus dem sechzehnten
Jahrhundert stammende Moschee des Großmoguls Babar war noch immer umstritten, die
Hindus bestanden nach wie vor darauf, daß ihre Götterbilder zu Ehren Ramas in der
Moschee blieben, und die Muslime wollten diese Götterbilder nach wie vor entfernen.
Ende der sechziger Jahre behaupteten die Muslime, entsprechend dem damaligen Sprachgebrauch,
sie wollten die Babar-Moschee »befreien« – während die Hindus behaupteten, sie wollten
den Geburtsort Ramas befreien.
Im Film versuchte
Inspector Dhar zu vermitteln. Aber das war natürlich unmöglich. Das Wesentliche
an den Inspector-Dhar-Filmen war schließlich, daß man sich darauf verlassen konnte,
daß rings um diesen Mann Gewalt ausbrach. Zu den frühesten Opfern gehörte Inspector
Dhars Frau! Jawohl, im ersten Film war er verheiratet, wenn auch nur kurz. Daß seine
Frau durch eine Autobombe ums Leben kam, rechtfertigte offenbar seine sexuelle Zügellosigkeit
für den Rest des Films – und für alle folgenden Inspector-Dhar-Filme. Und jedermann
sollte glauben, daß dieser schneeweiße Dhar ein Hindu war. Man sieht, wie er bei
der Einäscherung seiner Frau das Feuer anzündet; man sieht ihn mit dem traditionellen dhoti um die Lenden, den Kopf nach altem
Brauch kahlrasiert. Während des ganzen ersten Films wachsen seine Haare nach. Andere
Frauen streichen ihm über die Stoppeln, als wollten sie seiner verstorbenen Frau
tiefempfundene Ehrerbietung erweisen. Die Tatsache, daß Dhar Witwer ist, verschafft
ihm jede Menge Sympathien und viele Frauen – eine recht westliche Vorstellung und
ziemlich anstößig.
[199] Zunächst einmal
fühlten sich sowohl Hindus als auch Muslime beleidigt. Witwer fühlten sich beleidigt,
von Witwen und Gärtnern ganz zu schweigen. Und vom ersten Inspector-Dhar-Film an
fühlten sich sämtliche Polizisten beleidigt. Das tragische Schicksal des im wirklichen
Leben erhängten mali war nie geklärt worden. Das Verbrechen – das heißt, falls es überhaupt eines war,
falls sich der Gärtner nicht selbst erhängt hatte – wurde nie aufgeklärt.
Der Film bietet
den Zuschauern drei verschiedene Versionen an – jede eine perfekte Lösung. Somit
wird der unglückliche mali dreimal erhängt, und jedesmal wird irgendeine Gruppe beleidigt. Die Muslime waren
erbost, daß muslimische Fanatiker beschuldigt wurden, den Gärtner erhängt zu haben;
die Hindus waren empört, daß hinduistische Fundamentalisten beschuldigt wurden,
den Gärtner erhängt zu haben; und die Sikhs waren erzürnt, daß extremistische Sikhs
beschuldigt wurden, den Gärtner erhängt zu haben, angeblich in der Absicht, Muslime
und Hindus gegeneinander aufzuhetzen. Außerdem waren die Sikhs beleidigt, weil im
Film jedes Taxi von einem gefährlichen und aggressiven Verrückten gefahren wird,
der
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