Zirkuskind
sagte Promila Rai. »Ich kenne mich in diesen Dingen aus. Zumindest wird es
eine helle Haut haben.«
Lowji überlegte,
daß das Kind wahrscheinlich wirklich hellhäutig sein würde. Allerdings hatten sowohl
Danny Mills als auch Neville Eden sehr dunkle Haare, so daß der Doktor ernsthaft
bezweifelte, daß das Baby so blond sein würde wie Veronica Rose.
[188] Meher war aus
Prinzip dagegen, daß Promila Rai ein Kind adoptierte. Zunächst einmal war sie Mitte
Fünfzig – nicht nur eine alte Jungfer, sondern eine mißgünstige, verschmähte Frau.
»Sie ist eine verbitterte,
alte Hexe«, sagte Meher. »Sie würde eine gräßliche Mutter abgeben!«
»Sie hat sicher
ein Dutzend Dienstboten«, entgegnete Lowji, aber Meher erinnerte ihn daran, wie
sehr ihn Promila Rai einst gekränkt hatte.
Als Bewohnerin von
Malabar Hill hatte Promila eine Protestaktion gegen die Türme des Schweigens initiiert.
Damit hatte sie sämtliche Parsen gekränkt, sogar den alten Lowji. Promila hatte
behauptet, die Geier würden einzelne Körperteile in die Gärten und auf die Terrassen
der Anwohner fallen lassen. Angeblich hatte sie im Vogelbad auf ihrem Balkon sogar
ein Stück von einem Finger entdeckt. Dr. Lowji Daruwalla hatte Promila einen erbosten
Brief geschrieben, in dem er sie darauf hinwies, daß Geier nicht mit den Fingern
oder Zehen von Leichnamen im Schnabel herumfliegen. Geier verzehren ihre Mahlzeit
vor Ort – das weiß jeder, der nur einen Funken Ahnung von Geiern hat.
»Und jetzt willst
du, daß Promila Rai Mutter spielt!« rief Meher empört.
»Das will ich ja
gar nicht unbedingt«, entgegnete Dr. Daruwalla senior. »Allerdings stehen die betuchten
älteren Damen nicht gerade Schlange, um das ungewollte Kind eines amerikanischen
Filmstars zu adoptieren!«
»Außerdem«, meinte
Meher, »haßt Promila Rai die Männer. Was passiert, wenn das arme Kind ein Junge
wird?«
Lowji brachte nicht
den Mut auf, Meher mitzuteilen, was Promila ihm bereits erklärt hatte. Sie war nicht
nur überzeugt, daß das Baby blond sein würde, sie war auch ganz sicher, daß es ein
Mädchen werden würde.
»Ich weiß über diese
Dinge Bescheid«, hatte Promila zu ihm [189] gesagt. »Sie sind nur Arzt – noch dazu
für Gelenke, nicht für Babies!«
Dr. Daruwalla senior
schlug Veronica Rose und Promila Rai nicht vor, diese Transaktion miteinander zu
erörtern, sondern tat im Gegenteil alles, um das zu verhindern – die beiden interessierten
sich ohnehin nicht sonderlich füreinander. Für Vera fiel nur ins Gewicht, daß Promila
reich war oder wenigstens schien. Für Promila war das wichtigste, daß Vera gesund
war. Promila hatte panische Angst vor Drogen. Sie war überzeugt, daß Drogen das
Gehirn ihres Verlobten vergiftet und ihn dazu gebracht hatten, die Hochzeit mit
ihr abzublasen – gleich zweimal. Denn hätte er nicht unter dem Einfluß von Drogen
gestanden, sondern einen klaren Kopf gehabt, was hätte ihn dann davon abhalten sollen,
sie zu heiraten – wenigstens einmal?
Lowji versicherte
Promila, daß Vera keine Drogen nahm. Jetzt, nachdem Neville und Danny Bombay verlassen
hatten und Vera nicht mehr jeden Tag versuchte, Schauspielerin zu sein, brauchte
sie auch keine Schlaftabletten mehr. Sie schlief auch so die meiste Zeit.
Eigentlich konnte
jeder sehen, wohin das führen würde. Nur schade, daß Lowji es nicht sah. Seine Frau
hielt es für ein Verbrechen, auch nur daran zu denken, ein Neugeborenes in Promila
Rais Hände zu geben. Promila würde das Kind ohne Zweifel ablehnen, wenn es männlichen
Geschlechts oder auch nur ein bißchen dunkelhaarig war. Und dann erfuhr Lowji von
dem alten Dr. Tata das Allerschlimmste – nämlich daß Veronica Rose keine echte Blondine
war.
»Ich habe sie gesehen,
wo Sie sie nicht gesehen haben«, erklärte ihm der alte Dr. Tata. »Sie hat schwarze
Haare, pechschwarz, so ziemlich die schwärzesten Haare, die ich je gesehen habe.
Selbst für indische Verhältnisse!«
Farrokh konnte sich
das Ende dieses Melodrams ausmalen. Das Kind würde ein schwarzhaariger Junge sein.
Promila Rai [190] würde ihn nicht wollen, und Meher würde ohnehin nicht wollen, daß
Promila ihn bekäme. Folglich würden am Ende die Daruwallas das Baby adoptieren.
Nicht vorstellen konnte sich Farrokh allerdings, daß Veronica Rose ganz so naiv
war, wie sie tat. Vera hatte die Daruwallas längst als Adoptiveltern ihres Babys
auserkoren. Gleich nach der Geburt des Kindes wollte sie einen Zusammenbruch simulieren,
und
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