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Zirkuskind

Zirkuskind

Titel: Zirkuskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die ihn nach L. A. fuhr und dort
wartete, bis er ein herzhaftes Abendessen, bestehend aus Rindersteaks und zwei oder
drei Flaschen Rotwein, verdrückt hatte. Dann brachte ihn die Limousine nach Laguna
Beach zurück, wo Danny übersättigt und mit einer Zunge, die in Form und Farbe an
rohe Hühnerleber erinnerte, ankam. Wann immer er eine Entziehungskur machte, gelüstete
ihn am meisten nach Rotwein.) Danny schrieb Vera tagtäglich – von überwältigender
Klaustrophobie zeugende Liebesbriefe, die zum Teil zwanzig Schreibmaschinenseiten
umfaßten. Der Kern dieser Briefe war immer derselbe und recht einfach zu verstehen:
Danny würde sich »ändern«, wenn Vera ihn nur heiratete.
    Vera hatte unterdessen
eigene Pläne gemacht – bei denen sie von einer hundertprozentigen Kooperation der
Daruwallas ausging. Sie würde sich bei Dr. Lowji Daruwalla und seiner Familie versteckt
halten, bis das Kind auf die Welt gekommen war. Um die Vorsorge und die Entbindung
würde sich Dr. Daruwallas seniler Freund kümmern, der uralte, zu Fehlleistungen
neigende Dr. Tata. Es war ungewöhnlich, daß Dr. Tata Hausbesuche machte, aber in
Anbetracht seiner Freundschaft mit den Daruwallas und seines Verständnisses für
die extreme Empfindsamkeit, die man dem hypochondrischen Filmstar zuschrieb, erklärte
er sich dazu bereit. Das war auch gut so, meinte Meher, [186]  denn Veronica Rose hätte
sicher nicht sehr vertrauensvoll auf das eigenartige Schild reagiert, das vor dem
Gebäude, in dem sich Dr. Tatas Praxis befand, angebracht war und in Großbuchstaben
verkündete:
    DR. TATAS BESTE,
BERÜHMTESTE KLINIK FÜR
GYNÄKOLOGIE & GEBURTSHILFE
    Sicher
war es klug, Vera die Information vorzuenthalten, daß Dr. Tata es für notwendig
erachtete, seine Dienste als »beste« und »berühmteste« anzupreisen, denn daraus
hätte sie ohne Zweifel geschlossen, daß Dr. Tata an Unsicherheit litt. So aber stattete
er dem geschätzten Domizil der Daruwallas an der Ridge Road häufig Hausbesuche ab.
Da er viel zu alt war, um noch gefahrlos Auto fahren zu können, wurde sein Kommen
und Gehen normalerweise von einem Taxi in der Zufahrt zum Daruwallaschen Haus angekündigt
– mit einer Ausnahme: Einmal beobachtete Farrokh, wie sich Dr. Tata aus dem Fond
eines Privatautos quälte. Das hätte den jungen Mann nicht sonderlich interessiert,
hätte nicht Promila Rai am Steuer gesessen. Und neben ihr saß ihr angeblich unbehaarter
Neffe Rahul – eben jener Junge, dessen geschlechtliche Ambivalenz Farrokh solches
Unbehagen bereitet hatte.
    Damit drohte die
Geheimhaltung, die sämtliche Daruwallas für Vera und ihr künftiges Kind anstrebten,
aufzufliegen. Aber Promila und ihr dubioser Neffe fuhren davon, sobald sie Dr. Tata
an der Auffahrt abgesetzt hatten, und Dr. Tata erklärte Lowji, er sei sicher, daß
er Promila »auf eine falsche Fährte gelockt« habe. Er hatte ihr gesagt, sein Hausbesuch
würde Meher gelten. Meher war gekränkt, daß eine Frau, die ihr so zuwider war wie
Promila Rai, ihr alle möglichen weiblichen Klempnerprobleme intimer Art unterstellen
würde. Ihre [187]  Gereiztheit legte sich erst lange, nachdem sich Dr. Tata verabschiedet
hatte. Und da erst kam sie auf die Idee, Lowji und Farrokh zu fragen, was Promila
und Rahul Rai überhaupt mit dem alten Dr. Tata zu schaffen hatten. Lowji dachte
über die Frage nach, als täte er das zum erstenmal.
    »Vermutlich hat
sie ihn in seiner Praxis aufgesucht, und er hat sie gefragt, ob sie ihn mitnehmen
könnte«, sagte Farrokh zu seiner Mutter.
    »Sie ist über das
Alter hinaus, in dem man Kinder kriegt«, bemerkte Meher hämisch. »Wenn sie ihn in
der Praxis aufgesucht hat, dann wahrscheinlich wegen gynäkologischer Beschwerden.
Aber warum sollte sie ihren Neffen zu einem solchen Termin mitnehmen?«
    Lowji meinte: »Vielleicht
hat ja der Neffe die Praxis aufgesucht. Wahrscheinlich hat es irgend etwas mit seiner
Unbehaartheit zu tun!«
    »Ich kenne Promila
Rai«, sagte Meher. »Die glaubt keinen Augenblick, daß Dr. Tata meinetwegen einen
Hausbesuch gemacht hat.«
    Und dann, eines
Abends, im Anschluß an ein gesellschaftliches Ereignis im Duckworth Club, bei dem
endlose Reden geschwungen wurden, trat Promila Rai an Dr. Lowji Daruwalla heran
und sagte zu ihm: »Ich weiß genau über das blonde Baby Bescheid – ich werde es nehmen.«
    Der alte Dr. Daruwalla
fragte vorsichtig: »Welches Baby?« und fügte dann hinzu: »Es ist nicht gesagt, daß
es blond ist!«
    »Natürlich ist es
das«,

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