Zirkuskind
Bewußtsein waren Lady Duckworths
entblößte Brüste nur etwas Symbolisches. Doch von nun an blieb Farrokh die handfestere
Erinnerung an Veras geschmacklose Titten – ein recht unverblümtes sexuelles Angebot.
Der Kampfermann
In Anbetracht
von so viel Schrott aus der Vergangenheit braucht es einen kaum zu wundern, daß
Farrokh noch immer an seinem Tisch im dämmrigen Ladies’ Garden des Duckworth Club
saß. In der Zeit, die Dr. Daruwalla junior benötigte, um sich diese Vergangenheit
ins Gedächtnis zu rufen, hatte Mr. Sethna den Doktor mit einem weiteren kalten Kingfisher
versorgt. Farrokh hatte das frische Bier nicht angerührt. Sein geistesabwesender
Blick weilte beinahe in so weiter Ferne wie der starre Blick des Todes, den er erst
kürzlich in Mr. Lals Augen gesehen hatte, obwohl die Geier (wie bereits erwähnt)
alle deutlichen Spuren verwischt hatten.
Im Great Royal Circus
pflegte eine Stunde vor der frühen Abendvorstellung ein vornübergebeugter Mann mit
einer brennenden Kohlenpfanne die Reihe der Zelte abzuschreiten, in denen die Zirkustruppe
wohnte. In der Pfanne schwelten glühende Kohlen, und aromatischer Kampferdunst zog
in die Zelte der Artisten und Dompteure. Der Kampfermann blieb vor jedem Zelt stehen,
um sicherzugehen, daß auch genügend Rauch hineinwehte. Abgesehen von den heilenden
Eigenschaften, die man dem Kampfer zuschrieb – er wurde häufig als Gegenreizmittel
bei Infektionen und zur Behandlung von Juckreiz verwendet –, verband sich für die
Zirkusleute mit dem Rauch ein alter Aberglaube. Sie waren überzeugt, daß das Inhalieren
von Kampferdunst sie vor dem bösen Blick und den Gefahren ihres [183] Berufs – etwa
vor angreifenden Tieren oder vor Stürzen – schützte.
Als Mr. Sethna sah,
daß Dr. Daruwalla die Augen schloß, den Kopf in den Nacken legte und die blütenduftende
Luft im Ladies’ Garden tief einsog, deutete der alte Parse den Grund dafür falsch.
Mr. Sethna nahm fälschlich an, daß Farrokh eine abendliche Brise gespürt hatte und
deshalb den plötzlich von den Bougainvilleen ringsum ausströmenden Duft genoß. Aber
Dr. Daruwalla schnupperte nach dem Kampfermann, als bedürften die Erinnerungen des
Doktors an die Vergangenheit sowohl eines desinfizierenden Mittels als auch eines
Segens.
[184] 6
Der erste, der kommt
Bei der Geburt getrennt
Doch zurück
zu Vera. Als sie sich von ihrer schlimmsten Seite zeigte, sollte der junge Farrokh
nicht zugegen sein. Er war wieder in Wien, an der Universität, als Veronica Rose
Zwillinge zur Welt brachte und sich dafür entschied, ein Kind in der Stadt zu lassen,
die sie so haßte, und das andere mit nach Hause zu nehmen. Diese Entscheidung war
schockierend, aber Farrokh überraschte das keineswegs. Vera war eine sehr impulsive
Frau, und Farrokh hatte die Monsunmonate ihrer Schwangerschaft miterlebt – er wußte,
wie gefühllos Vera sein konnte. In Bombay setzt der Monsunregen Mitte Juni ein und
dauert bis zum September an. Die meisten Einwohner Bombays empfinden diese Regenfälle,
trotz der verstopften Abflüsse, nach der großen Hitze als Erleichterung. Es war
erst Juli, als der schreckliche Film abgedreht war und der Filmpöbel aus Bombay
abreiste – und leider die arme Vera für den Rest der Regenzeit und darüber hinaus
zurückließ.
Sie wolle hierbleiben,
um »sich selbst zu finden«, erklärte sie den anderen. Neville Eden war es egal,
ob sie blieb oder nicht. Er hatte Subodh Rai mit nach Italien genommen – eine Pastakur,
so erklärte Neville dem jungen Farrokh voller Behagen, würde die Widerstandskraft
gegen die Härten des Analverkehrs stärken. Gordon Hathaway versuchte, Eines Tages fahren
wir nach Indien, Liebling in Los Angeles herauszubringen. Doch obwohl er den Titel in Die sterbende
Frau umänderte,
konnte auch noch soviel Zusammenstreichen und Umschreiben den Film nicht retten. [185] Tagtäglich verfluchte Gordon seine Familie, weil sie ihm eine so willensstarke
und untalentierte Nichte wie Vera aufgehalst hatte.
Danny Mills machte
eine Entziehungskur in einem Privatsanatorium in Laguna Beach, Kalifornien. Das
Sanatorium war seiner Zeit ein Stück voraus – es setzte auf eine Kombination aus
Grapefruit-Avocado-Diät und intensiver Gymnastik. Während dieser Zeit wurde Danny
von einem Limousinenverleih verklagt, weil Harold Rosen, der Produzent, nicht mehr
für Dannys sogenannte Geschäftsreisen aufkam. (Wenn Danny es im Sanatorium gar nicht
mehr aushielt, ließ er sich eine Limousine kommen,
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