Zirkusluft
Schwägerin des Toten zu erzählen hat. Wie hieß die Nachbarin noch?«
»Hilbert, du Erinnerungslücke. Manchmal frage ich mich, was du ohne mich machen würdest.«
Lenz zwinkerte seinem Assistenten zu.
»Einen anderen Oberkommissar quälen, was sonst.«
Vor der Tür trennten sie sich von den Überziehern an ihren Schuhen und machten sich auf den Weg nach unten. Im Treppenhaus kam ihnen Rolf-Werner Gecks entgegen.
»Das hört ja nicht mehr auf!«, begrüßte er die Kollegen mit ernstem Gesicht.
»Gut, dass du da bist, RW. Klopf an jeder Tür hier im Haus und frag nach, ob jemandem was Ungewöhnliches aufgefallen ist. Der Tatzeitpunkt dürfte mindestens sechs Stunden zurückliegen. Also ist alles interessant, was sich seit gestern Abend hier im Haus abgespielt hat. Wir gehen ins Erdgeschoss und befragen die Schwägerin des Toten und die Nachbarin, bei der sie wartet.«
»Ich hab’s schon unten von den Kollegen gehört, dass sie das Baby des Toten und ihrer Schwester dabeihat.«
»Genau. Wir sehen uns oben in der Wohnung, wenn du fertig bist.«
Gecks nickte, zog einen kleinen Notizblock aus der Jackentasche und machte sich an die Arbeit. Lenz und Hain standen ein paar Sekunden später vor Elfriede Hilberts Tür und klingelten.
Die Frau war Mitte 60, hatte schlohweißes Haar und trug eine Kittelschürze.
»Kommen Sie rein, meine Herren. Frau Schramm sitzt im Wohnzimmer.«
Sie ging voraus und brachte die Kommissare zu einem Raum, der ohne Probleme als Teil eines Botanischen Gartens durchgegangen wäre. Dort saß eine Frau mit einem schlafenden Kleinkind auf dem Arm.
Lenz und Hain stellten sich vor und reichten ihr die Hand.
»Guten Tag, Frau…Schramm?«
Sie nickte.
»Ja, Sabine Schramm. Ich bin die Schwester von Bülents Frau«, begann sie umständlich.
»Zunächst möchten wir Ihnen unser Beileid aussprechen, Frau Schramm. Es ist tragisch, einen nahen Verwandten auf diese Weise zu verlieren.«
»Nun brechen Sie sich mal keinen ab. Bülent und ich waren nie so dicke, und daran hätte sich selbst dann nichts mehr geändert, wenn er 100 geworden wäre.«
Lenz und Hain tauschten kaum merklich einen Blick aus.
»Aber Sie haben Ihren Schwager gestern Abend gesehen?«
»Ja«, bestätigte sie. »Petra und ich sind gestern Mittag zusammen beim Kinderarzt gewesen, wegen Hassan.«
Sie nickte in Richtung des Babys. »Dann waren wir hier, bis Bülent nach Hause gekommen ist. Nachdem die beiden sich gefetzt hatten, sind wir abgehauen.«
»Wann genau war das?«
»Ungefähr um 19.30 Uhr. Ganz genau kann ich es Ihnen aber nicht sagen.«
»Das macht nichts. Als Sie und Ihre Schwester die Wohnung verlassen haben, ging es Ihrem Schwager noch richtig gut?«
»Na ja. Er hat vor Wut gekocht und uns im Hausflur ziemlich üble Sachen nachgebrüllt. Aber er war lebendig, soviel ist sicher.«
»War er allein, als Sie gingen?«
»Klar. Er war allein und hat das gemacht, was er immer gemacht hat: am Computer gehockt.«
»Was hat er denn dort gemacht?«, wollte Hain wissen.
»Fragen Sie mich nicht, keine Ahnung. Aber er hat jeden Abend und bis tief in die Nacht am Rechner gesessen und irgendwas getippt, das weiß ich ganz genau.«
»Worum ging es denn bei dem Streit der beiden?«, fragte Lenz.
»Ach, eigentlich eine Kleinigkeit. Hassan hier ist seit Längerem krank, ein hartnäckiges Virus. Und Bülent versucht seit Wochen, ihn zu einem türkischen Wunderheiler zu schleppen, was Petra natürlich nicht zulässt. Würde ich übrigens auch nicht. Und gestern haben die beiden sich deswegen wieder mal gezofft .«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ich hätte diesen Arsch schon längst in die Wüste geschickt, an ihrer Stelle.«
»Wo sind Sie hingegangen, nachdem Sie das Haus verlassen hatten?«
»Zuerst waren wir im Kino. Danach sind wir in einer Kneipe bei mir um die Ecke gewesen, so bis um eins. Dann waren wir ein bisschen angetütert und haben uns schlafen gelegt. Bei mir zu Hause.«
»Sie leben allein?«, fragte der Hauptkommissar weiter.
»Meistens, ja.«
»Gibt es Zeugen dafür, dass Sie im Kino waren?«
Sie legte den Kleinen neben sich aufs Sofa, griff in die hintere Tasche ihrer Jeans und zog zwei Eintrittskarten heraus.
»Wenn Ihnen das weiterhilft? In der Kneipe haben uns zwei Dutzend Leute gesehen, nur zu Hause waren wir dann unbeobachtet.«
Hain griff nach den Kinokarten, warf einen Blick darauf und nickte.
»Bitte haben Sie Verständnis für unsere Fragen, immerhin wurde ein Mensch
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