Zirkusluft
ausschließlich unseren Ansagekräften zum richtigen Timing. Wir machen keine Aufnahmen von unseren Fahrgästen.«
Lenz sah ihn ungläubig an.
»Wie, Sie machen keine Aufnahmen von Ihren Fahrgästen? Die ganze Republik ist kameraüberwacht, und am Kasseler Bahnhof Wilhelmshöhe guckt die Deutsche Bahn in die Röhre?«
Nun hob der Mann im blauen Anzug entschuldigend die Arme.
»Ich weiß, das ist ein Anachronismus. Und Sie können mir glauben, dass ich sehr gerne ein komplettes Überwachungssystem hätte, allein wegen der Unfallgefahr auf den Bahnsteigen, aber wir haben nun mal keins. Und wir stehen auch nicht auf der Liste derjenigen Bahnhöfe, die in den nächsten Jahren damit ausgerüstet werden sollen.«
Der Hauptkommissar sah sich in der Halle um.
»Hier oben gibt es auch keine Kameras?«
»Nein, auch hier oben nicht. Wir hatten vor einigen Jahren mal den Bereich der Schließfächer mit Kameras überwacht, weil es eine Zeit lang in Mode war, dass irgendwelche Idioten ihr Altöl literweise in den Boxen endgelagert haben. Aber nachdem die Tauben die Kameras richtig zugeschissen hatten, wurden sie einfach wieder abmontiert.«
Lenz bedankte sich bei dem Mann, verabschiedete sich und ging über eine Treppe nach unten zum Abfahrtsbereich. Erstaunt betrachtete er die beiden altertümlichen Kameramodelle über seinem Kopf, die jeweils einen kleinen Ausschnitt des Bahnsteigs abdeckten. Der Bahnbedienstete hatte recht–mit diesen Dingern konnte man keinen Überwachungsstaat ausrufen.
Bevor der Kommissar den Bahnhof verließ, warf er einen Blick auf den Fahrplan. Es gab zwei Verbindungen nach Hannover, die Topuz benutzt haben könnte. Eine um 7.23 Uhr und eine weitere um 7.39 Uhr.
»Fragen wir halt in Hannover nach. Vielleicht ist der Bahnhof dort ja videoüberwacht«, war Hains Kommentar, nachdem er Topuz ’ Computer in Empfang genommen hatte und von Lenz über dessen magere Erkenntnisse in Wilhelmshöhe sowie die Einlassungen von Petra Topuz informiert worden war. »Wenn er dort ausgestiegen ist, und es gibt tatsächlich ein paar Bilder davon, wissen wir wenigstens genau, dass er nicht der Mörder von Fehling ist.«
»Und können uns die hoffentlich schöne Unbekannte anschauen, mit der Topuz sich getroffen hat«, ergänzte Lenz. »Dann finden wir noch heraus, wer sie ist, damit wir ihr ein paar Fragen stellen können.« Er deutete auf das elektronische Ensemble auf Hains Schreibtisch. »Aber bis dahin stellst du erst mal diese beiden Kisten da auf den Kopf und holst alles an Informationen heraus, was du kriegen kannst.«
»Die eine ist so gut wie erledigt, viel mehr als das, was wir schon wussten, gibt es nicht zu holen. Viel Porno, viel Chat, viele Foren. Ich bin gerade dabei gewesen, über die Zeiten, in denen er online war, seinen Alias herauszufinden, aber das ist nicht so einfach. Hast du wenigstens die Unterlagen mitgebracht, um die ich dich gebeten habe?«
Lenz nickte und zog die Papiere aus der Innentasche seiner Jacke.
Ein kurzes Klopfen an der Tür, dann stand Rolf-Werner Gecks im Raum. Mit einem triumphierenden Lächeln sah er seine Kollegen an.
»Schminkt euch den Türken als Mörder von Fehling ab, der war es nämlich nicht«, begann er, um danach eine längere Kunstpause einzulegen.
»Mach’s nicht so spannend, RW. Was hast du herausgefunden?«
»Unser Türke ist gestern um 7.09 Uhr an der Haltestelle Annastraße in eine Tram der Linie 4 gestiegen und zum Wilhelmshöher Bahnhof gefahren. Dort hat er, nach Aussage von Franz Buchinger , einem Bewohner des Hauses gegenüber, einen ICE Richtung Norden genommen.«
Gecks setzte sich. »Noch irgendwelche Fragen?«
Lenz zog sich einen Stuhl heran, nahm neben Gecks Platz und klopfte ihm herzhaft auf den Oberschenkel.
»Gute Arbeit, RW. Weiß dein Herr Buchinger denn mit hundertprozentiger Sicherheit, dass es Topuz gewesen ist?«
»Absolut, ja. Topuz und er sind öfter zusammen Bahn gefahren, so haben sie sich auch kennengelernt . Buchinger ist Lehrer und arbeitet an einer Schule in Marburg. Der Türke ist ein- oder zweimal im Monat im selben Zug unterwegs gewesen und entweder nach Gießen oder Frankfurt gefahren, das wusste er nicht mehr so genau.«
Hain, der in der Zwischenzeit Topuz ’ Computer angeschlossen hatte, nahm sich ebenfalls einen Stuhl und setzte sich zu den beiden.
»Und unser Paule hat sogar schon herausgefunden, wo Topuz hin wollte und was er dort vorhatte, RW.«
Der verwirrte Gecks sah zuerst Hain und dann Lenz
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