Zirkusluft
können.«
»Aha. Und warum?«
»Weil man mit Platzpatronen niemanden erschießen kann.«
»Wieso Platzpatronen?«, wollte Hain irritiert wissen.
Kostkamp beugte sich nach vorne, griff nach der Kaffeetasse auf dem Tisch und nahm einen großen Schluck.
»Ich bin sicher, dass ihr ganz schön über die Schmauchspuren an seiner Hand gestolpert seid, weil das alles zu schön zusammengepasst hätte. Bekennerschreiben, Tatwaffe, Schmauchspuren, und dann kann er es nicht gewesen sein, weil er sich in Hannover mit einem Schneckchen treffen musste.«
»Oder auch nicht«, bremste Lenz seinen Kollegen.
»Wie auch immer. Jedenfalls bin ich seit einer Stunde sicher, dass er nur mit Platzpatronen geballert hat. Und mit denen, wie gesagt, kann man schlecht jemanden erschießen.«
Lenz verzog anerkennend das Gesicht.
»Und wie bist du darauf gekommen?«
»Ich hatte nur so eine Ahnung. Der Ruhm für diese Erkenntnis gebührt also weniger mir als der neuen Kriminaltechnikerin Regina Schröder. Die scheint eine echte Waffenexpertin zu sein, was kein Wunder ist, weil sie bei den Polizeiweltmeisterschaften 2002 die Bronzemedaille mit der Schnellfeuerpistole ergattert hat. Und weil auch ihr das ganze Szenario irgendwie komisch vorkam, ist sie in die Pathologie gefahren und hat sich erstens die Hand angesehen und zweitens eine Probe des Schmauchs genommen. Das Ergebnis hat sie dann gleich mitgebracht: Der Schmauch stammt von mindestens einer, vermutlich aber von mehreren abgefeuerten Platzpatronen.«
»Ich wusste gar nicht, dass man so genau herausfinden kann, ob mit scharfer Munition oder Platzpatronen geschossen wurde«, stutzte Gecks .
»Ich auch nicht«, bestätigte Kostkamp, »aber die Schröder sagt, es geht, und zwar über die Zusammensetzung der Treibladung.«
»Also hat der Täter ihn zuerst erschossen und dann in seiner Hand ein paar Platzpatronen abgefeuert?«
»Nein, so einfach hat er es uns leider nicht gemacht.«
Die drei sahen Kostkamp verwirrt an.
»Nun guckt nicht so. Die Schröder behauptet, anhand der Tiefe, mit der der Schmauch in die Poren seiner Haut eingedrungen ist, zu erkennen, dass Topuz wirklich aus eigenem Antrieb den Finger gekrümmt haben muss.«
»Das würde bedeuten, dass er mit Platzpatronen auf seinen Mörder gefeuert hat?«
»Wohin er geschossen hat, weiß ich nicht, aber er hat es mit Platzpatronen gemacht.«
»Puh!«, machte Hain. »Das entwickelt sich zunehmend verwirrend.«
»Stimmt«, bestätigte Lenz. »Was immer wir vorfinden, wir müssen uns fragen, ob es echt ist oder ein Fake . Und so langsam will ich wirklich wissen, wer hinter der ganzen Scheiße steckt.«
»Das nennt man Mördersuche«, bemerkte Kostkamp süffisant und stand auf. »Ach ja, bevor ich’s vergesse, Spermaspuren haben wir auch gefunden.«
»Wo denn?«, wollte Lenz wissen.
»An seiner Computermaus. Aber das ist nichts Ungewöhnliches, seit ein paar Jahren sind die meisten dieser Dinger spermifiziert . Vermutlich wegen der Pornoseiten im Internet. Die genauen Hintergründe finde ich so unappetitlich, dass mir die bloße Existenz der Spermien reicht.«
»Das heißt, er hat sich Pornoseiten im Internet angesehen und dann…?« Lenz stockte.
»Genau, Paul, dann hat er sein Sperma großzügig an der Maus hinterlassen.« Kostkamp griff zur Türklinke.
»Schönen Feierabend, die Herren. Ich fahre am Tatort vorbei, weil ich meine Brotbüchse vergessen habe. Dann will ich in die Badewanne.«
Er verabschiedete sich und zog die Tür ins Schloss.
Hain stand stumm da und starrte seinen Schreibtisch an, auf dem die Computer von Fehling und Topuz wie aufgerichtete phallische Mahnmale der digitalen sexuellen Revolution wirkten.
»Ich geh mir mal die Hände waschen«, ließ er seine Kollegen wissen und war auch schon verschwunden.
Eine Stunde später saß Lenz in der Straßenbahn und war auf dem Heimweg. Er war müde und freute sich wie Kostkamp auf eine warme Badewanne. Als die Tram an der Annastraße hielt, sah er, dass noch immer etwa 40 Personen vor dem Haus, in dem Topuz gestorben war, standen. Sie skandierten nun keine Parolen mehr, sondern hielten so etwas wie eine Mahnwache ab, mit Kerzen in den behandschuhten Händen und Mützen auf ihren Köpfen gegen die Kälte. Mehrere Fernsehteams hatten ihre Kameras und Scheinwerfer auf die Menge gerichtet und machten Aufnahmen.
20
Evelyn Brede stellte den Wahlhebel der Automatik auf D, gab langsam Gas und rollte vom Hof. Die junge Polizeikommissarin konnte ihre
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