Zirkusluft
waren, rieben sich die kalten Hände und sahen den Männern der Spurensicherung zu. Der Leichnam von Klaus Hartmann war ein paar Minuten zuvor abtransportiert worden. Dr. Peter Franz, der Gerichtsmediziner, stand neben dem Streifenwagen und sprach in sein Diktiergerät.
»Der wollte sie von Anfang an nicht erschießen«, sagte Lenz zu Hain und verspürte zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder das Verlangen nach einer Zigarette.
Der junge Oberkommissar gähnte herzhaft, sah seinen Chef müde an und machte eine fragende Geste.
»Wie kommst du darauf?«
»Würdest du einen Polizisten erschießen und den anderen am Leben lassen, damit er dich identifizieren kann? Wenn du erst einen auf dem Gewissen hast, kommt es auf den zweiten auch nicht mehr an.«
»Vielleicht hat er Mitleid gekriegt, weil es eine Frau gewesen ist?«
»Vielleicht war er gar kein Türke und will uns und der Welt nur glauben machen, dass er einer ist. Wir sollen annehmen, dass ein türkischer Racheengel in der Stadt unterwegs ist.«
»Und mit welchem Ziel?«
»Das weiß ich noch nicht, Thilo. Aber es ist nicht stimmig, dass die Frau noch lebt, so schön es für sie auch sein mag.«
Dr. Franz steckte das Diktiergerät in seine alte Ledertasche und kam auf die beiden zu.
»Langsam komme ich zu dem Schluss, dass die Hochkriminalität nun auch Kassel erreicht hat. Einen Polizistenmord hatten wir schon seit mehr als 20 Jahren nicht mehr, wenn ich recht erinnere.«
Lenz nickte.
»Ist lange her, das stimmt.«
»Nun, wie auch immer, Ihr Kollege war nach dem zweiten Schuss auf der Stelle tot. Was allerdings egal ist, weil er den ersten auch nicht überlebt hätte, der ihm die Bauchschlagader zerfetzt haben dürfte.«
Lenz musste schlucken.
»Entweder«, fuhr der Mediziner fort, »hat der Täter beim Zielen Glück gehabt, oder er wusste genau, wo er einschießen muss, um zu töten. Ich frage mich nur, warum er die Polizistin am Leben gelassen hat.«
»Das hat uns auch schon beschäftigt«, stimmte der Hauptkommissar ihm zu. »Vielleicht sollte sie am Leben bleiben, um uns erzählen zu können, wie er aussah, wie er gesprochen hat und was er erzählt hat.«
Franz dachte einen Moment nach.
»Was das bedeuten könnte, will ich mir lieber nicht ausmalen, Herr Lenz. Und jetzt verabschiede ich mich, denn ich habe noch die eine oder andere Leiche im Keller, die auf meinen Y-Schnitt wartet.«
»Netter Zeitgenosse«, bemerkte Hain.
»Das bin ich auch. Allerdings nicht mehr lange, wenn das Morden hier nicht aufhört und ihr nicht schleunigst Ermittlungserfolge vorweisen könnt.«
Lenz und sein Kollege fuhren herum und sahen in das Gesicht von Kriminalrat Ludger Brandt, dem Leiter der regionalen Kriminalinspektion und damit ihrem direkten Vorgesetzten.
»Morgen, Ludger«, erwiderte Lenz und reichte ihm die Hand.
»Morgen, Paul. Hallo, Thilo. Was ist hier passiert?«
Lenz gab ihm einen kurzen Abriss dessen, was sich in den letzten beiden Stunden im und am Streifenwagen abgespielt hatte.
»Wie geht’s der Frau?«
»Na ja. Sie ist geschockt, aber das ganze Ausmaß der Geschichte begreift sie bestimmt erst in ein paar Tagen.«
»Hast du irgendeine Idee, was das Motiv angeht?«
» Hmm «, machte Lenz.
Brandt verzog säuerlich das Gesicht und warf seinem Leitenden Hauptkommissar einen warnenden Blick zu.
»Mir ist nicht nach Rätselraten, Paul. Hast du, oder hast du nicht?«
»Ich glaube nicht, dass es wirklich ein Türke war. Er hat ihr diese Litanei von der Rache und den ganzen Scheiß nur erzählt, damit wir nach einem Türken suchen. Vielleicht täusche ich mich, aber das war nun mal kein junger Heißsporn, der an ein Polizeiauto kommt und losballert. Das war ein Profi, der genau wusste, worauf es ankommt und was er tun muss, um es zu kriegen.«
»Kann es nicht sein, dass ein Bekannter oder Verwandter des toten Türken aus der Westendstraße durchgedreht ist und diese Sauerei hier veranstaltet hat?«
»Natürlich kann das sein«, gab Lenz genervt zurück, »aber ich glaube es einfach nicht.«
Brandts Mobiltelefon klingelte. Er griff ins Innere seines Mantels, kramte das Gerät hervor, nahm den Anruf an und ging ein paar Schritte zur Seite. Nach weniger als einer halben Minute war das Gespräch beendet.
»Das war Polizeipräsident Bartholdy. Er ist nicht amüsiert über das, was sein persönlicher Referent ihm soeben berichtet hat, und will, genau wie ich, schnellstmöglich Ermittlungsergebnisse sehen.«
Der Kriminalrat sah auf
Weitere Kostenlose Bücher