Zirkusluft
sich wieder auf seine eigentliche Aufgabe.
Etwa fünf Minuten später näherte sich ein dunkel gekleideter Zirkusmitarbeiter mit einer Pudelmütze auf dem Kopf dem Container, kramte an einem großen Schlüsselbund nach dem passenden Schlüssel und verschwand im Innern. Kurze Zeit später verstärkte sich das Brummen, der Arbeiter kam heraus, schloss die Tür hinter sich ab und verschwand im Zelt. Der Mann auf der Treppe gegenüber griff in die Manteltasche, nahm erneut die Sonnenblumenkerne in die Hand und sah dabei unauffällig auf die Uhr. Während er den Rest der Tüte vor sich auf dem Boden ausstreute, erwachte der Zirkus wie durch einen unhörbaren Klingelruf zum Leben. Die Türen der Wohnwagen öffneten sich nach und nach, und dick vermummte Arbeiter strömten auf den Haupteingang des Zeltes zu. Der Mann gegenüber hatte offenbar genug gesehen. Er knüllte den Beutel in seiner Hand zusammen, steckte ihn in die Manteltasche und stieg ebenso langsam, wie er sie erklommen hatte, die Treppen wieder hinab. An der Oberen Königsstraße wandte er sich nach rechts, folgte der Fußgängerzone bis zu deren unterem Ende, überquerte die Kreuzung und betrat schließlich das Hochhaus am Stern. Dort fuhr er in den 13. Stock, näherte sich vorsichtig seiner Wohnungstür und steckte den Schlüssel ins Schloss.
23
Lenz warf noch einen Blick auf die trostlose Szenerie um den Streifenwagen und stieg dann in den Mazda.
»Ich hasse Pressekonferenzen«, ließ er seinen Kollegen eine längst bekannte Tatsache erneut wissen. »Reine Showveranstaltungen für die Öffentlichkeit mit nichts als hohlen Phrasen. Furchtbar.«
»Bist ja zum Glück nicht der Hauptdarsteller. Bei einem Polizistenmord geht es nun mal nicht anders, weil jeder Medienvertreter möglichst schnell alle Einzelheiten wissen will.«
Die Pressekonferenz wurde live im Hessischen Fernsehen und von diversen Radiostationen übertragen. Das Medieninteresse wegen der nun drei Morde in Kassel war gewaltig. Immer wieder liefen Szenen der Demonstrationen des vergangenen Abends über die Sender und wurden Bilder von Reinhold Fehling, Bülent Topuz und dem toten Polizisten, Klaus Hartmann, gezeigt. Lenz wurde von Brandt zwar als Leitender Ermittler und Chef der eiligst gegründeten Sonderkommission ›Holland Ende‹ vorgestellt, hielt sich jedoch dezent im Hintergrund. Nach einer guten Stunde, in der viel geredet und wenig gesagt wurde, war das Spektakel vorüber.
»Nimm dir so viele Leute, wie du brauchst, aber bring uns Ergebnisse«, formulierte Brandt einen klaren Auftrag, als Lenz und der Kriminalrat etwas später in dessen Büro saßen. »Ich werde mich beim LKA erkundigen, ob die jemanden von sich dabei haben wollen, was ich aber nicht glaube, sonst hätten sie sich schon gemeldet.«
Lenz hob abwehrend die Hände.
»Halt sie mir vom Hals, wenn’s geht. Du weißt, wie gerne ich mit denen zusammenarbeite.« Er stand auf und ging zur Tür.
»Ich trommle derweil die Leute zusammen, die ich brauche, und kläre die weiteren Schritte. Wir sehen uns später.«
»In Ordnung. Mach’s gut!«
»Ich hab schon eine Liste vorbereitet«, wurde der Hauptkommissar von Hain empfangen. Lenz griff danach, sah sich die Namen an und nickte. »Genau richtig. Ruf sie zusammen, wir sehen uns in einer halben Stunde bei mir im Büro. Bis dahin will ich meine Ruhe haben.«
Er ging eine Tür weiter, setzte sich an seinen Schreibtisch, legte die Füße hoch und schloss die Augen.
Was für eine Woche .
Nachdem er etwa fünf Minuten einfach dagesessen und an absolut gar nichts gedacht hatte, griff er zu seinem Mobiltelefon und wählte Marias Nummer.
»Ja, bitte«, meldete sie sich.
»Ich bin’s.«
»Hab ich mir schon gedacht. Du warst im Fernsehen.«
»Ich hätte mich gefreut, wenn ich’s nicht hätte sein müssen. Dann wäre zumindest der getötete Polizist noch am Leben.«
»Wie geht es seiner Kollegin?«
»Ich hab mit ihr gesprochen, als ich am Tatort angekommen bin, da ging es eigentlich. Meistens ist es ja so, dass die Erkenntnis und die ganze Trauer erst ein paar Tage später kommen.«
»Und wie geht’s dir?«
»Ich bin müde. Müde und traurig.«
»Im Fernsehen haben sie gesagt, dass der Polizist Single gewesen sei. Stimmt das?«
»Ja, das ist richtig. Nichtsdestotrotz hatte der Mann eine Familie, Freunde und Bekannte. Ich bin froh, dass ich denen heute nicht in die Augen sehen musste.«
»Wer musste das denn?«
»Ich weiß es nicht, Maria, und
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